Gedenkbuch 2011

Philipp Wallach

Mordechai Mal’an (früher Erich Wallach), Binyamina (Israel)

Philipp Wallach

Unser Vater Philipp Wallach wurde am 1. April 1889 in Eilendorf als Sohn des Metzgers und Viehhändlers Andreas Wallach und seiner Frau Eva Wallach, geborene Menken, geboren. Zusammen hatten Andreas und Eva Wallach sieben Kinder Emanuel, Philipp, Selma, Isidor, der bereits als Kleinkind starb, Wilhelmine, Sophia und Carl.

Philipp Wallach diente während der vier Jahre des Ersten Weltkriegs als Soldat und nahm an den Kämpfen in Galizien, heute Polen, und den französischen Vogesen teil. Er erhielt das Eiserne Kreuz.

Am 1. November 1922 heiratete er in Wuppertal-Barmen unsere Mutter Ida Maria Else, geborene Leuschner. Laut jüdischer Tradition und damit zukünftige Nachkommen der Familie als Juden anerkannt wurden, lernte unsere Mutter das Notwendige und konvertierte zum jüdischen Glauben.

Nach der Hochzeit zogen unsere Eltern nach Essen, wo wir drei Brüder in der Evangelischen Huyssens-Stiftung geboren wurden: Alfred am 5. November 1923, Erich am 25. Juli 1925 und Kurt am 7. Februar 1927.

Die ganze Familie war jedoch schon 1926 nach Rheinhausen bei Oberhausen gezogen, wo die Eltern gemeinsam ein Textilwarengeschäft im Haus an der Ecke Atroperstraße/ Annastraße 2 (später Hermann-Göring- und Horst-Wessel-Straße) aufbauten, welches in der sogenannten „Kristallnacht“, die gegen die jüdische Bevölkerung Deutschlands gerichtete Pogromnacht, am 9. November 1938 vollkommen zerstört wurde.

Aus meiner Kinderzeit erinnere ich mich noch ganz gut: Während dreier Jahre hatten wir eine Schwester Maria als Kindermädchen. Später in den 1930er Jahren kam sie noch einmal zu uns für ein Jahr.

Ich war auch im katholischen Kindergarten, der von Nonnen geleitet wurde, irgendwo an der Straße, die zu der Kruppschen Fabrik führte.

Wir drei Brüder besuchten für vier Jahre die evangelische Volksschule in Rheinhausen, da es in jener Kleinstadt sonst keine jüdischen Kinder gab. Die nächste jüdische Schule und Synagoge waren in Moers. Nachher gingen wir für circa drei Jahre auf die Oberrealschule in Rheinhausen. Nachdem ich 1936 die Volksschule verließ, um auf die genannte Oberrealschule zu gehen, schickten unsere Eltern im Jahr 1937 den jüngsten Sohn Kurt nach Aachen, wo er bei Tante Selma Lautmann, der Schwester meines Vaters, wohnte und die jüdische Schule am Bergdriesch 38 besuchte, bis er alt genug war, um 1938 in die Sexta [fünfte Klasse] der Oberrealschule in Rheinhausen einzutreten, wo ich selbst die Quarta [siebte Klasse] besuchte.

Nach dem Pogrom des 9. November 1938 mussten wir die Schule verlassen und kurz danach zog die ganze Familie nach Aachen, wo wir im Haus des 90-jährigen Herrn Bernhard Neckarsulmer in der Augustastraße 8 wohnten.

Obwohl unsere Erziehung nicht streng jüdisch war, sondern eher allgemein liberal, achteten unsere Eltern mit zunehmendem Alter darauf, dass wir die jüdische Religion und auch sonstige Traditionen kennen lernten. Im Großen und Ganzen bezog sich das auf die Einhaltung der jüdischen Feiertage und auf das Lernen für die Bar-mitzwah. Bar-mitzwah ist der Tag des dreizehnten Geburtstags, wenn jüdische Jungen laut Tradition mündig und Mitglied der Gemeinde werden.

Mein jüngerer Bruder Kurt und ich gingen in die jüdische Schule in Aachen, während mein älterer Bruder Alfred auf einem jüdischen Gymnasium bei Coburg weiterlernte.

Im Jahr 1939 brachte mich mein Vater nach Berlin, wo wir uns mit Alfred trafen, der bereits direkt nach Ausbruch des Krieges am 1. September 1939 zu einem Arbeitseinsatz in der Nähe von Frankfurt/Oder eingezogen worden war. Von dort ging es weiter zu einem Umschulungsbetrieb in der Nähe von Havelberg, wo Alfred und ich uns auf die Auswanderung nach Palästina vorbereiten sollten. Als Kurt 14 Jahre alt wurde, kam er ebenfalls in einen solchen Betrieb in Ahrensdorf. Im Jahr 1941 wurden die Betriebe im Landgut Neuendorf bei Fürstenwalde/Spree zusammengelegt und wir sahen uns wieder.

Mein Vater Philipp Wallach wurde vom 15. Dezember 1941 bis zum 15. Juni 1942 im Lager Rhenaniastraße in Stolberg interniert. Am 15. Juni wurde er zunächst in das Vernichtungslager Sobibor deportiert und von dort weiter ins KZ Auschwitz-Birkenau. Dort wurde er am 8. August 1943 ermordet. Meine Mutter Ida erhielt 1943 Nachricht darüber von den deutschen Behörden. Sie besuchte und erzählte uns, unser Vater sei offiziell an einer Lungenentzündung gestorben. Seine Asche könne zugeschickt werden („ das entsprechende Formular liegt bei“).

Wir schauten Mutter an, konnten die Geschichte aber nicht glauben. Sie seufzte tieftraurig und sagte: „Bitte, lasst uns glauben, dass es so geschehen ist.“

Meine Mutter zog zurück nach Rheinhausen, wo sie am 8. Juli 1947 starb. Auf dem Aachener Jüdischen Friedhof wurde für meine Eltern ein Gedenkstein aufgestellt.

Wir drei Brüder überlebten den Krieg nach vielen Strapazen in verschiedenen Betrieben, im Gefängnis, gemeinsam und getrennt voneinander in Berlin und auf der Flucht. Ich ging nach Israel und Kurt zog in die Schweiz. Alfred (später Amnon) lebte nach dem Krieg bis zum Tod unserer Mutter 1947 bei ihr in Rheinhausen und wanderte danach zu unserem Onkel Emil (später Emanuel) Wallach nach Mexiko aus.

Die Schwestern meines Vaters, Selma Lautmann und Wilhelmine Schwartz , sowie Carl Wallach wurden in Konzentrationslagern ermordet.

Sophia Wallach überlebte den Krieg und starb 1966 in Appeldoorn in den Niederlanden, wo ich sie 1957 noch traf.