Gedenkbuch 2011

Emil Hartog

Curt H. Hartog, St. Louis (USA)

Emil Hartog

Emil Hartog wurde am 6. Dezember 1890 in Haaren als zweites Kind der Eheleute Albert Hartog (16. April 1857 - 27. Januar 1938) und Johanna (genannt Bertha) Holländer (4. September 1862 - 1. Juni 1894) geboren.

Johanna kam ursprünglich aus Eschweiler und hatte drei weitere Kinder mit Albert bevor sie ganz unerwartet an einem schweren Herzinfarkt starb: Golda, die Erstgeborene (7. Juni 1889 – 1941 oder 1942/1943) , Marta (21. März 1892 - 1995) und Eugen (12. Mai 1893 - 23. August 1916).

Etwa ein Jahr später im Jahr 1895 heiratete Albert Eva Holländer, Johannas jüngere Schwester, mit der er noch sieben weitere Kinder hatte.

Über Emils Kindheit ist wenig bekannt. Sein Vater Albert war offenbar ein strenggläubiger Mann und sorgte gut für seine Familie, auch wenn sein Viehhandelsunternehmen ihn oft nach Belgien führte und er dadurch häufig nicht zuhause war.

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 brachte Alberts Betrieb zum Schrumpfen, und die Familie erlebte dieselben Erschütterungen und Härten wie viele andere deutsche Familien. Die älteren Jungen Eugen und Gustav gingen zum Militär. Eugen meldete sich zum Heer und wurde in den Ardennen stationiert, wo er Lungenentzündung bekam, nach Deutschland in ein Krankenhaus zurückgeschickt wurde und dort starb, ohne ein Gefecht erlebt zu haben.

Gustav wurde trotz seines schmächtigen Körperbaus – er war nur 1,57 Meter groß und wog zwischen 55 und 59 Kilogramm – im Jahr 1917 eingezogen und diente in einem Ausrüstungskommando, das Munition an die Front brachte.

Emil, den sein Bruder Bert als das Schwarze Schaf der Familie bezeichnete , wurde bereits im Jahr 1911 mit 21 Jahren zur deutschen Marine eingezogen.

Er wurde an Bord des Panzerkreuzers „Berlin“ nach Marokko geschickt als Deutschland und Frankreich sich in der Agadir-Krise („Zweite Marokkokrise“) gegenüber standen. Dies war ein für die damalige Zeit recht typischer Kolonialkonflikt. Die französische Regierung sandte Truppen, um dem Sultan von Marokko zu helfen, eine Palastrevolution zu unterdrücken. Als Antwort darauf schickte die deutsche Regierung das Kanonenboot „Panther“ nach Marokko, eine Vorgehensweise, die die französischen und britischen Regierungen aufbrachte und Frankreich dazu veranlasste, Marokko im Jahr 1912 zum dauerhaften Protektorat zu erklären. Im Gegenzug verzichtete das Deutsche Reich auf alle Ansprüche in Marokko und wurde dafür von Frankreich mit Gebieten in Französisch-Äquatorialafrika entschädigt.

Für Emil scheint die Agadir-Krise eine persönliche Sache gewesen zu sein. Er geriet in einen Streit mit Unbekannten, büßte dies mit einem gebrochenen Bein und wurde mit einer Ausmusterung aus medizinischen Gründen nach Hause geschickt. Er ging daraufhin zur Reserve und wurde nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 einberufen und auf dem Kreuzer „Hela“ eingesetzt, der am 13. September 1914 vom britischen U-Boot „E9“ vor Helgoland versenkt wurde. Es starben nur zwei Besatzungsmitglieder. Emil wurde gerettet.

Er trat dann dem Zeppelin-Kommando der Marine bei. Laut der Aussage von Bert, erlebte er lediglich einen Flug ohne Kampfhandlungen. Emils Bruder Curt erinnerte sich, dass Emil weitere Versetzungen für sich arrangierte. Einmal tauchte er auf dem Weg zu einer anderen Front in Aachen mit einem Transport Deutscher Schäferhunde auf, die in Erster Hilfe ausgebildet waren. Als im Herbst 1918 die rote Fahne der Revolution bei der Marine gehisst wurde, schloss Emil sich sofort an.

Es gibt allerdings keinen Hinweis darauf, dass Emil Kommunist oder Sozialist wurde wie einige seiner Geschwister. Nach Berts Erinnerungen war er an Politik nicht interessiert. Nach dem Krieg kam er 28jährig nach Aachen zurück und nahm sich eine Wohnung, statt wieder zu seiner Familie zu ziehen. Zu jener Zeit machte sich die Familie Sorgen darüber, dass Ex-Soldaten Vergeltungsmaßnahmen durch die belgischen Besatzungstruppen erleiden könnten. Emils Bruder Gustav sah sich dazu gezwungen, nach Hannover zu ziehen, wo er für kurze Zeit in einer Fabrik arbeitete. Emil tat die mögliche Bedrohung ziemlich verächtlich ab und blieb in Aachen. Er erlitt keinen Schaden.

Um sein eigenes Geld zu verdienen, fand Emil einen Partner und begann mit ihm einen Altwarenhandel, dem sich sein Bruder Bert ebenfalls anschloss. Eine neue Geschäftsmöglichkeit eröffnete sich im Jahr 1919 als die amerikanische Besatzungsarmee in Koblenz damit begann, ihre überschüssigen Ausrüstungen und Bestände zu verkaufen. Emil und sein Partner fuhren nach Koblenz und kauften den gesamten Bestand inklusive Uniformen und anderer Kleidungsstücke, die sich großer Nachfrage erfreuten. Sie schnitten die Knöpfe ab, färbten die Uniformen blau und begannen sie zu verkaufen. Laut Bert verkauften sie sich „wie warme Semmeln“ und lieferten den beiden Brüdern genug Einkommen, um sich eigene Wohnungen leisten zu können.

Die Familie hatte allerdings Schwierigkeiten, ihr Zuhause zu erhalten. Als der Krieg es Albert unmöglich machte, seinen Viehverkauf in Belgien weiterzuführen, eröffnete er eine Metzgerei im ersten Stock der Wohnung. Mit der zunehmenden Inflation ging das Geschäft zurück, und im Jahr 1923 drohte die Bank damit, die Hypothek aufzukündigen, sollte Albert nicht unverzüglich seine 10.000 Mark Schulden bezahlen.

Albert war es offenbar nicht möglich, mit dieser Drohung umzugehen, daher schlug Bert vor, sich mit den Bankangestellten zu treffen und günstigere Bedingungen auszuhandeln. Albert stimmte zu. Bert machte also einen Termin und erhielt Emils Zusicherung, dass er mit ihm zur Bank gehen werde. Am verabredeten Tag ging er zu Emils Wohnung und fand Emil im Bett vor. Bert fragte Emil, warum er nicht fertig sei, um mit ihm zur Bank zu gehen. Emil antwortete: „Ich habe mir das noch mal überlegt und bin der Meinung, dass es keinen Sinn macht, zur Bank zu gehen. Ich habe kein Geld, um die Schulden abzubezahlen, und warum solltest Du seine (Alberts) Schulden zahlen? Unser Vater ist praktisch mit einem Fuß schon im Gefängnis, da können wir nichts machen.“

Bert ging schließlich allein zur Bank. Er brachte die Bankangestellten dazu, ihm die Hypothek zu übertragen, und schaffte es, einen neuen Kredit für seinen Vater auszuhandeln, um sein Geschäft weiterführen zu können. – Ein glückliches Ende in einer schwierigen Situation. Bert beendete die Anekdote mit der Bemerkung: „Das war mein Bruder Emil.“

Danach verschwindet Emil ganz aus der Erinnerung der Familie. Er lässt sich nach 1924 nicht mehr in Aachener Akten finden. Er heiratete nie, und daher gibt es auch keine Sekundärakten über ihn und eine Frau oder ihre Familie. Es ist bekannt, dass er in Berlin lebte als er am 29. Januar 1943 nach Auschwitz deportiert wurde, wo er starb.