Lili Frankenstein
Von Bettina Offergeld, Aachen
Lili Frankenstein promovierte an der philosophischen Fakultät der Universität in Greifswald im Fach Kunstgeschichte. Ihre Doktorarbeit schrieb sie zu dem Thema „Tarentiner Terrakotten. Studie zur Kunstgeschichte Großgriechenlands“, wofür sie mit der Note „gut“ beurteilt wurde. Am 17. Mai 1921 legte sie ihre mündliche Prüfung ebenfalls mit der Note „gut“ ab und war damit von nun an Dr. phil. Lili Frankenstein.
Zu jeder Dissertation gehört ein Lebenslauf. Lili Frankenstein schreibt in ihrer Promotionsschrift:
„Ich, Lili Frankenstein, wurde am 9. November 1889 als Tochter des Kaufmanns Julius Frankenstein und seiner Ehefrau Hedwig, geborene Gräfenberg, zu Aachen geboren. Ich bin mosaischer Religion, preußischer Staatsangehörigkeit und wohne in Aachen.
Dort besuchte ich von September 1896 bis Dezember 1904 die Viktoriaschule. Nach privater Vorbereitung trat ich im Januar 1905 in OIII der Gymnasialklassen für Mädchen zu Cöln a/Rh. ein, besuchte diese Anstalt bis einschließlich OI und bestand die Reifeprüfung Ostern 1909 am Königl. Kaiser Wilhelmgymnasium zu Cöln.
Ich studierte klassische Philologie, Archäologie, Deutsch, Philosophie in Göttingen (Sommersemester 1909 - Sommersemester 1910), in Bonn (Wintersemester 1910/11 – Sommersemester 1911), Greifswald (Wintersemester 1911/12 – Wintersemester 1913/14 und Wintersemester 1915/16).
Vor Abschluss meines Studiums übernahm ich eine Kriegsvertretung an der Viktoriaschule zu Aachen vom 10. September 1914 bis zum 30. März 1915. Am 21. Januar und 25. Februar 1916 bestand ich in Greifswald die Prüfung für das höhere Lehramt und am 3. August eine Erweiterungsprüfung.
Von Ostern 1916 bis Ostern 1920 war ich in Berlin im Schuldienst, seitdem mit privaten Studien für meine Dissertation beschäftigt.“
Lili Frankenstein war an den genannten Schulen in Aachen und Berlin Lehrerin für Griechisch, Latein, Deutsch, Philosophie, Archäologie und Kunstgeschichte. In Aachen vertrat sie einen in den Ersten Weltkrieg eingerückten Oberlehrer.
Von 1920 bis 1926 übte Lili Frankenstein verschiedene Tätigkeiten aus: Sie arbeitete sowohl als Lehrerin, als Haus- oder Privatlehrerin an der Odenwaldschule, als auch als Assistentin an wissenschaftlichen Instituten und Museen. Trotz hervorragender wissenschaftlicher Ausbildung war Lili immer wieder arbeitslos.
Ab dem Jahr 1926 arbeitete sie als Studienassessorin auf Abruf an Schulen in Krefeld, Rheydt, Essen und Duisburg.
Im Jahr 1930 wurde sie zur Studienrätin ernannt und konnte im Jahr 1931 eine Stelle an der Auguste-Viktoria-Schule in Düsseldorf besetzen.
Der September des Jahres 1933 brachte Lili jedoch die endgültige Entscheidung. Vom Oberpräsidenten der Rheinprovinz, Abteilung Schulwesen, wurde ihr ein Schreiben zugestellt, in dem ihr mitgeteilt wurde, dass der Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung aufgrund von § 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 07. April 1933 entschieden hatte, sie, Lili Frankenstein, in den Ruhestand zu versetzen. Dienstbezüge sollten bis zum Ende des Jahres 1933 weitergezahlt werden.
Am 11. Dezember 1933 zog Lili wieder zu ihren Eltern in die Marktstraße 2 in Aachen.
Lili war die Erstgeborene von drei Schwestern, die alle in Aachen geboren wurden. Am 06. Juni 1891 kam ihre Schwester Ida Henriette zur Welt. Sie lebte in Aachen und war als Klavier- und Musikpädagogin tätig, wofür sie im Jahr 1926 ausgezeichnet wurde. Sie emigrierte im Jahr 1939 und überlebte die Shoah. Die jüngste der Schwestern trug, laut Informationen des Standesamtes Aachen, den Vornamen Louise Anna und wurde am 04. Januar 1896 geboren. Sie promovierte als Luise Frankenstein bereits ein Jahr vor Lili in Greifswald und schrieb ihre Dissertation, mit der sie einen juristischen Doktortitel erwarb. Auch Luise emigrierte im Jahr 1939 und überlebte so das Dritte Reich. Sie ist 1992 in Zürich verstorben.
Die Familie Frankenstein war eine hochangesehene Aachener Familie. Sowohl die Familie ihres Vaters als auch die der Mutter lebten nachweislich seit mindestens 180 Jahren in Deutschland. Der Vater war noch als 62-jähriger in den Ersten Weltkrieg eingetreten, die Mutter war Inhaberin des Verdienstkreuzes für Kriegshilfe.
Vater Julius starb jedoch im Mai des Jahres 1938, Lilis Mutter Hedwig starb im Jahr 1941 in Aachen. Das Haus, in dem Mutter und Tochter lebten, war bereits seit dem Jahr 1940 arisiert. Wahrscheinlich nach dem Tod der Mutter wurde Lili am 19. September 1941 in das israelitische Altenheim in der Horst-Wessel-Straße, heute Kalverbenden, eingewiesen.
Im Hausbuch des Altenheims steht bei ihrem Namen der Vermerk, sie sei am 3. April 1942 nach unbekannt ausgewandert. Tatsächlich wurde sie an diesem Tag mit mindestens 24 weiteren Heimbewohnern in das Sammellager am Schlachthof in Düsseldorf-Derendorf gebracht von wo aus sie, nun 52 Jahre alt, zweieinhalb Wochen später mit dem Transport am 22. April 1942 in das Vernichtungslager Izbica in Polen deportiert wurde. Dort wurde Lili Frankenstein vermutlich gleich nach ihrer Ankunft ermordet.
In den Gedenkblättern von Yad Vashem ist für Lili Ottilie Frankenstein als Ort des Todes Polen notiert.