Sich der historischen Verantwortung stellen

Von Kathrin Albrecht

Katholische Hochschule Aachen arbeitet eigene Geschichte auf und macht jüdisches Engagement sichtbar

Seit 100 Jahren wird in Aachen Soziale Arbeit gelehrt. Das ist zum einen ein Grund zum Feiern, zum anderen aber die Gelegenheit, die eigene Geschichte kritisch zu hinterfragen.

Aus diesem Grund hat die Katholische Hochschule NRW, Abteilung Aachen, die jetzigen Nachfolgerin der 1918 gegründeten Sozialen Frauenschule in Aachen, zu einer offenen Recherchewerkstatt eingeladen. Denn bei der Erforschung der eigenen Geschichte am (Hoch –) Schulstandort stieß man auf einige Leerstellen – vor allem um die Zeit der NS – Diktatur in den Jahren 1933-1945.

Ein Umstand, der auch dem AStA der KatHo aufgefallen war und zu einem eigenen Projekt veranlasste, über diese Jahre nach zu forschen. "Fünf Sätze zur Geschichte während der Jahre 1930-1945? Da geht noch mehr!" Zu ihren Nachforschungen veröffentlichten die Studierenden ein achtseitiges Begleitheft, dass man als einen ersten Aufschlag der kritischen Aufarbeitung der eigenen Geschichte verstehen kann.

In ihm arbeiten die Studierenden nicht nur die völkisch-nationalistische Haltung der damaligen Leiterin der Sozialen Frauenschule Aachen, Marianne Offenberg, heraus, die – so vermuten die Autoren – kein Einzelfall im damaligen Kollegium gewesen sein dürfte. Eine deutliche Abgrenzung oder Widerstand zu den veränderten Verhältnissen ab 1933 seien kaum wahrzunehmen. Auch werfen die Ergebnisse Fragen auf: Wie wurde Soziale Arbeit in jenen Jahren gelehrt und wie verstanden? Was hat die Soziale Frauenschule mitgetragen, wo hat sie die Augen verschlossen?

Soziale Arbeit in Deutschland hat jüdische Wurzeln

Tim Ernst vom AStA der KatHo Aachen ist es wichtig, dass sich die Hochschule mit diesen Fragen befasst.

Für Dozentin Susanne Bücken, die an der KatHo im Forschungsprojekt "Flucht – Diversität – kulturelle Bildung. Eine rassismuskritische und diversitätssensible Diskursanalyse kultureller Bildungsangebote" arbeitet, geht es auch darum, anhand der Forschungsergebnisse aus dieser Zeit eine Brücke ins Heute zuschlagen. Wie entsteht zum Beispiel Rassismus damals und heute?

Gleichzeitig soll es in einem zweiten Strang auch darum gehen, das soziale Engagement jüdischer Bürgerinnen und Bürger in der Weimarer Republik und der Zeit des Nationalsozialismus sichtbar zu machen. "Die Soziale Arbeit in Deutschland hat starke jüdische Einflüsse und Wurzeln, wenn wir an Alice Salomon denken, die als Wegbereiterin der Sozialen Arbeit als Wissenschaft gilt", sagt Marianne Genenger-Stricker, KatHo-Professorin für Soziale Arbeit.

Von der Recherchewerkstatt, an der Vertreter des Buchprojektes "Opfer der Shoah", des Runden Tisches gegen Rechts der Stadt Aachen, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN/BdA) sowie der Studierenden der KatHo und des Aachener Stadtarchivs teilnahmen, erhoffe man sich Anregungen, in welche Richtung man weiter suchen könne, brachte es Carmen Nos, Dekanatsreferentin an der KatHo, auf den Punkt. Vor allem Archivmaterial sei in Bezug auf die beiden Themenstränge nur begrenzt in Aachen vorhanden.

Das Risiko des Vergessens wächst, der Rassismus ebenso

In der Diskussion wurde schnell deutlich, wie wichtig das Thema auch gerade noch in der jüngeren Generation ist. Gerade die Studierenden wünschen sich eine vertiefende Arbeit zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland. Dies ist umso bedeutsamer, weil Antisemitismus und Rassismus in der heutigen Zeit scheinbar wieder salonfähig werden. Das zeigt auch der jüngste Antisemitismusbericht des Deutschen Bundestages. Mit voranschreitender Zeit gibt es keine Zeitzeugen mehr, die mahnen könnten, das Risiko des Vergessens wächst. Dazu beitragen könne auch die KatHo selbst, die das Thema zwar in ihrem Curriculum aufgreift, jedoch meist in Form von Wahlveranstaltungen, nicht jedoch als Pflichtveranstaltung. Sehr viel Input habe diese Werkstatt gebracht, resümiert Marianne Genenger – Stricker. Jetzt gilt es zu schauen, was davon umgesetzt werden könne.

Quelle: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, Ausgabe Aachen–Stadt, 6.1.2019