Endstation Hoffnung am Hauptbahnhof

Von Christoph Classen

Abfahrt: 10 Uhr, Gleis 1, Aachen Hauptbahnhof, Reiseziel: die Vergangenheit. Mit der Dampflok geht es zurück in die deutsche Geschichte. In ein Kapitel, dass mancher am liebsten verdrängen würde, das aber nicht vergessen werden darf.

Deswegen macht der "Zug der Erinnerung" Halt im Aachener Hauptbahnhof. Die Reisenden sind Kinder. Sie tragen Namen wie Ellen Speier oder Manfred Ullman. Ihre Gesichter strahlen kindliche Unschuld und Hoffnung aus. Das Leben liegt vor ihnen, es gibt noch so vieles zu entdecken.

In den Augen der Nationalsozialisten haben Ellen Speier und Manfred Ullman aber kein Recht auf ihr Leben. Eine kranke Ideologie "rechtfertigte" die Deportation von mehr als einer Million Kindern in Vernichtungslager. Das Schicksal von Ellen Speier und Manfred Ullman Hat lediglich stellvertretend für einen Grauen und vorstellbaren Ausmaßes. Die Ausstellung "Zug der Erinnerung" ermöglicht eine Annäherung. Sie soll die Auswirkungen der Gräueltaten an vielen Gesichtern und Schicksalen illustrieren und damit begreifbar machen. Aus Aachen wurden 500 Menschen in Konzentrationslager verschleppt, mindestens 70 von ihnen waren Kinder insgesamt war der Aachener Hauptbahnhof Durchgangsstation für mindestens 25000 Deportierte.

Bürgermeisterin Hilde Scheidt, die die Ausstellung gestern eröffnete hat kein Verständnis für die Deutsche Bahn: "Für den "Zug der Erinnerung" werden Streckengebühren erhoben. Das ist eine Unmöglichkeit! Schreiben Sie Herrn Mehdorn, protestieren Sie dagegen", ruft sie den Besuchen zu.

In aller Öffentlichkeit

Ute Schilde vom Verein "Zug der Erinnerung" findet, dass der Bahnhof genau der richtige Ort für die Ausstellung ist: "auch die Deportationen geschahen in aller Öffentlichkeit." Mittlerweile hat sich vor den Zug eine große Menschenschlange gebildet. Viele Eltern sind mit ihren Kindern gekommen, um die Ausstellung zu sehen.

Im Verwaltungsgebäude an der Lagerhausstraße müssen zusätzliche Stühle herbeigeschafft werden. Auch dort ist der Andrang groß. Der Deutsche Gewerkschaftsbund, Region NRW Süd-West, hat die Veranstaltung organisiert. Doktor Herbert Ruland einen Vortrag über den Deportationsort Aachen gehalten hat und Bettina Offergeld aus der Biografie des Aachener Juden Karlo Josephs vorgetragen hat, liest Helmut Clahsen aus seinem Buch "Mama, was ist ein Judenbalg?".

Es sind bewegende Zeilen, die einen Eindruck vermitteln, wie es gewesen sein muss, als jüdisches Kind im nationalsozialistischen Aachen aufzuwachsen. Helmut Clahsen war dieses Kind. Er hat "Glück" gehabt. Er hat überlebt.

Die Schlange vor dem "Zug der Erinnerung" ist am Nachmittag doppelt so lang wie am Morgen. Die Stimmung unter den wartenden ist gelöst. Es wird gelacht, ein Vater hilft seinem Sohn, über ein Geländer zu balancieren. Kurzweiliger Zeitvertreib.

In den Waggons hinter der alten Dampflok ist die Stimmung beklemmend. Die abgedunkelten Scheiben beengte Raum verstärken diesen Eindruck. "Mama, was haben die Kinder denn schlimmes gemacht?", fragt ein kleines Mädchen seine Mutter. Was soll sie antworten?

In jedem Waggon keimt die Hoffnung, dass es der letzte war. Doch es geht weiter, denn auch die Züge rollen weiter. Beim Verlassen des Zuges schallt Kinderlachen durch den Hauptbahnhof. Der kleine Junge auf dem Geländer hat hörbar seinen Spaß. Kann es ein schöneres Geräusch geben?

Grundschulkinder singen zum Thema

Der "Zug der Erinnerung" mach noch heute und am Dienstag Station am Gleis eins im Aachener Hauptbahnhof.

Das Jugendorchester der städtischen Musikschule wird am heutigen Montag mit großer Besetzung an mehreren Plätzen der Stadt spielen. Unter Leitung von Marion Simons–Olivier, Johanna Schmidt und Illa Tönnies wird das Jugendorchester am Synagogenplatz, am Elisenbrunnen und am Hauptbahnhof auf und spielt jüdische Lieder und Musik.

Kinder aus den 4. Schuljahr en der Gemeinschaftgrundschule Schönforst nehmen an dieser Aktion teil. Beginn ist um 15:15 Uhr auf dem Synagogenplatz.

Quelle: Aachener Nachrichten, 2.3.2008