Gedenkfeier für Fredy Hirsch
„Fredy Hirsch war ein großer Aachener“
Aachens Oberbürgermeister Marcel Philipp sprach am Donnerstagabend (11.2.) im Gemeindezentrum der Jüdischen Gemeinde von einem besonderen Anlass: Genau vor 100 Jahren, am 11. Februar 1916, wurde im Haus Neupforte 13 in Aachen Fredy Hirsch geboren, „ein bedeutender Sohn unserer Stadt“, wie Philipp sagte. In einer von der Jüdischen Gemeinde Aachen und der Stadt Aachen in Kooperation veranstalteten Gedenkfeier gelang es, das Erinnern an Fredy Hirsch, den 1944 in Auschwitz gestorbenen Jugenderzieher, Sportlehrer und Funktionär des Jüdischen Pfadfinderbundes tatkräftig zu unterstützen.
Sie erlebten Hirsch im Kinderblock
Beeindruckend war für die Gäste in der Synagoge die Begegnung mit Wegbegleitern Fredy Hirschs, die Mitte der Woche aus Prag und aus Israel angereist sind und viele Begegnungen in Aachen bis zum Wochenende haben: Dita Kraus, die als „Bibliothekarin von Auschwitz“ im von Fredy Hirsch geleiteten Kinderblock wirkte, ist nach Aachen gekommen.
Ebenso begrüßte Marcel Philipp Evelina Merova, die auch in dem von Fredy Hirsch geforderten Kinderblock war und nach ihrer Befreiung aus dem Konzentrationslager von einem russischen Kinderarzt adoptiert wurde und 50 Jahre in Leningrad, dem heutigen St. Petersburg, lebte. In ihre Heimatstadt Prag kehrte sie nach ihrem Eintritt in den Ruhestand zurück.
Dr. Hans Gaertner ist der älteste unter den derzeit in Aachen weilenden Überlebenden der Lager. Er kannte Fredy Hirsch schon sehr gut ab dem Ende der 30iger Jahre aus der gemeinsamen Prager Zeit. Als engste, noch lebende Verwandte von Fredy Hirsch verfolgten die Tochter seines Bruders Paul, Rachel Masel, und ihr Mann Ari den Abend.
„Der beharrliche Aufruf, nicht mutlos zu werden“
Philipp zeichnete in seiner Rede den Lebensweg des engagierten Erziehers, Sportlehrers und jüdischen Pfadfinder-Funktionärs nach, von den frühen Aachener Tagen bis in die Extremsituationen der Grausamkeiten von Theresienstadt und Auschwitz: „Für Fredy Hirsch galt der beharrliche Aufruf, nicht mutlos zu werden, sich nicht aufzugeben, nicht in Lähmung und Resignation zu verharren, sondern aktiv zu sein. Noch in der Hölle von Birkenau, im Theresienstädter Familienlager, hörte er nicht auf, für seine Ideale einzutreten. Er erreichte es, dass ein Kinderblock eingerichtet wurde, den er gemeinsam mit weiteren Erziehern organisierte.“ Mit 28 Jahren fand Hirsch in Auschwitz den Tod.
Des Oberbürgermeisters Appell in der Bilanz seiner Ausführungen: „Wenn wir heute an ihn erinnern, sind wir aufgerufen, alles dafür zu tun, dass die Geschichte sich nicht wiederholt. Deshalb treten wir ein gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit, gegen Gewalt und Terror, gegen die Verächter und Gegner der Demokratie. Wenn wir uns gegen die Zumutungen von Rechtsextremen, gegen Diskriminierung und Intoleranz in jeder Form wehren, wenn wir uns einsetzen für Freiheit, Toleranz und Respekt vor Andersdenkenden und dann auch für unsere Nachbarn einstehen und Zivilcourage im Alltag zeigen – dann ehren wir das Andenken Fredy Hirschs in richtiger Weise.“
Der Verein „Gedenkbuchprojekt für die Opfer der Shoah aus Aachen“ unter dem Vorsitz von Bettina Offergeld hatte die Idee zur Einladung der Zeitzeugen und hat das Zusammentreffen mit ihnen mit organisiert. Philipp dankte für diese Initiative: „Ohne diese Bereitschaft, die Erinnerung an Fredy Hirsch gerade am Tag des 100. Geburtstages aufrecht zu erhalten, wäre die Gedenkfeier in der heutige Form nicht möglich gewesen.“
Die Symbolkraft des Ortes
Der Oberbürgermeister deutete die Symbolkraft des Ortes der Gedenkfeier: „Wenn wir heute an diesem Ort zusammenkommen, schließt sich gewissermaßen ein Kreis: Auf dem Grundstück, auf dem heute die Aachener Synagoge und das Gemeindezentrum stehen, stand von 1862 an eine monumentale Synagoge, die in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 geschändet, demoliert, schließlich in Brand gesteckt und völlig zerstört wurde.“ In diesem vernichteten Gotteshaus feierte Fredy Hirsch im Jahr 1929 seine Bar Mitzwa, er nahm aktiv teil am Gemeindeleben, engagierte sich gemeinsam mit seinem Bruder Paul in der Jugendarbeit und beteiligte sich an kulturellen Aktivitäten der Synagogengemeinde. Philipp: „Es gibt wohl keinen besseren Ort, um seiner heute zu gedenken, als diesen: eine historische Stätte, in der auch heute wieder eine lebendige Jüdische Gemeinde wirkt, lernt, feiert und betet.“
Begegnung mit Schülern und Lehrern
Beeindruckt zeigten sich die Zeitzeugen von der Begegnung am Nachmittag mit der engagierten Lehrerschaft und Schülerschaft des Couven-Gymnasiums, dessen Vorgängerinstitution, die Hindenburgschule, Hirsch besucht hatte. Auch der Oberbürgermeister fand Worte der Anerkennung: „Das Couven-Gymnasium sorgt dafür, dass ein beständiger Ort des Gedenkens an Fredy Hirsch in unserer Stadt bestehen bleiben wird.“ Damit sprach er die am heutigen Abend (12.2.) anstehende Feier an, in der die Mensa der Schule nach Fredy Hirsch benannt wird. Dank sagte Philipp darüber hinaus den Freiwilligen der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, die in diesen Tagen die Gäste durch Aachen begleiten.
„Fredy Hirsch ist ein Vorbild – auch für uns heute“, betonte der Oberbürgermeister. „Sein Wirken entfaltete sich aufgrund einer von tiefem Humanismus getragenen Grundüberzeugung. Mitmenschlichkeit, Fürsorge, die Linderung von Nöten standen für ihn weit vorne. Er kann uns Vorbild sein mit dem Mut, den er hatte und mit der Ermutigung anderer selbst in auswegloser Situation.“ Viele Leben habe Hirsch in der Zeit des millionenfachen Mords gerettet. „Die Unerschrockenheit, mit der er den SS-Schergen gegenübertrat, zeugt von einer bewundernswerten Festigkeit seiner Persönlichkeit, ebenso seine Nähe und Beteiligung an der Widerstandsbewegung in Auschwitz. Auch wir dürfen sagen: Fredy Hirsch war ein großer Aachener!“
Quelle: Pressemitteilung der Stadt Aachen, 12.2.2016