Ticket dritter Klasse in den Tod

Lila Blechs Schicksal steht stellvertretend für das von tausenden Menschen, die von den Nazis deportiert wurden.

Aachen. Am 25. Juli 1942 wurden um 9.25 Uhr in einem Zug, der bei der Reichsbahn die Zugnummer "Da 71" trug, 278 als Juden verfolgte Menschen aus Aachen deportiert. Dieser mit sechs Güterwaggons größte Transport aus Aachen fuhr über Düren nach Düsseldorf und umfasste schließlich 20 Waggons mit 980 Insassen. Die Gestapo buchte die Deportierten bei der Reichsbahn als gewöhnliche Fahrgäste für Personenwagen 3. Klasse, entsprechend gestaltete sich auch der von den Deportierten zu zahlende Fahrpreis für eine einfache Fahrt, für die ein Gruppentarif gewährt wurde. Als der Transport in Theresienstadt ankam, erhielt er die Bezeichnung "VII/2". Von den 980 Deportierten überlebten nur 61 Menschen den Holocaust. Davon sind dem "Gedenkbuchprojekt Aachen" elf Überlebende aus der Synagogengemeinde Aachen bekannt. Das Gedenkbuchprojekt für die Opfer der Shoah aus Aachen e.V. hat sich zum Ziel gesetzt, an die Aachener Opfer zu erinnern. In bisher drei Biographiebänden werden nach und nach die Lebensgeschichten der ermordeten Aachener Jüdinnen und Juden veröffentlicht.

Theresienstadt, eine komplette Stadt, wurde von den Nationalsozialisten zum Ghetto umfunktioniert und bei der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 zum Altersghetto bestimmt. Es wurde beschlossen, dass neben alten auch schwerkriegsbeschädigte Juden und Juden mit Kriegsauszeichnungen in Theresienstadt untergebracht werden sollten. Die jüdischen Bürger und Bürgerinnen aus Aachen, die am 25. Juli 1942 deportiert wurden, waren vorher im Israelitischen Altersheim und verschiedenen sogenannten "Judenhäusern" interniert gewesen. Tatsächlich war Theresienstadt seit Ende 1941 ein Konzentrationslager und Durchgangslager besonders in das Vernichtungslager Auschwitz.

Die Aachenerin Lila Blech war eine der Personen, die am 25. Juli 1942 von Aachen nach Theresienstadt deportiert wurde. Ihr Urenkel Mark Lewis schreibt:

"Lila Bolette Israel wurde am 1. Januar 1867 in Altona als Tochter von Abraham und Rosalie Israel, geborene Kaufmann, geboren. Lilas Vater war Textilhändler. Lila hatte eine elf Jahre jüngere Schwester mit Namen Agnes. Am 4. Februar 1894 heiratete Lila Max Blech, der am 12. März 1865 als zweiter Sohn von Jacob und Rosetta Blech, geborene Hartog, in Wickrath zur Welt gekommen war. Circa 1870 zog er mit seinen Eltern und Geschwistern nach Aachen um.

Lila und Max Blech hatten zwei gemeinsame Töchter, Clara Thekla und Else Leonie, genannt Elsie, die beide in Aachen zur Welt kamen."

Clara schrieb später in ihren Familienerinnerungen über ihre Mutter Lila:

"Mutter war eine attraktive Dame mit dunklen Haaren und hellbraunen Augen. Sie wog mehr, als ihr lieb war, hatte aber eine gute Figur, war immer gut angezogen, ab dem frühen Morgen. Sie erschien nie in Morgenrock oder Pantoffeln zum Frühstück! Mutter war ausgeglichen - im Gegensatz zu Vater. Noch bevor wir zur Schule kamen, lehrte sie uns zu sticken, um kleine Geschenke für unsere Großmütter herzustellen. Sobald wir schreiben konnten, mussten wir Dankesbriefchen schreiben für Geschenke, die wir erhalten hatten.

Sie war eines von neun Kindern. Mutter wurde früh, schon mit neun Jahren, beigebracht, das Tafelsilber zu polieren und alle Kerosinlampen sauber zu halten, das Fußgestell zu putzen und den Lampenzylinder zu polieren, obgleich zu allen Zeiten Bedienstete in ihrem Haus arbeiteten. In einem Jahr zu Weihnachten stellte Mutter einen Weihnachtsbaum auf, um die Haushaltshilfe, die im Haus unserer Eltern lebte, zu erfreuen. Vater war aufgebracht (meine Eltern waren jüdischen Glaubens), ließ den Baum abbauen und zu einem seiner Arbeiter bringen, der in der Nähe wohnte. Mutter war wirklich verletzt und konnte Vaters Reaktion nicht verstehen."

Lilas Mann Max Blech starb bereits im Jahr 1937 in Aachen im Alter von 72 Jahren Während des Krieges lebte Lila Blech weiterhin in Aachen. Lilas Töchter emigrierten in die USA. Tochter Clara bemühte sich darum, für ihre Mutter ein Visum zu organisieren, um sie in die Vereinigten Staaten zu holen. Lila musste an der US-Botschaft in langen Schlangen viele Stunden anstehen, hatte schließlich doch nicht die richtigen Dokumente bei sich und wurde nach Hause geschickt, um sie zu holen. Bevor Lila aber nochmals vorstellig werden konnte, wurde sie am 25. Juli 1942 deportiert. So erklärte sich die Familie jedenfalls die Tatsache, dass sie nie mehr von Lila hörte. Lila starb im Lager Theresienstadt am 12. November 1942. Ihre Töchter überlebten in den USA.

Die Biographienbände des Gedenkbuchprojektes sind im Frankenberger Buchladen, Schlossstraße 12, und in der Buchhandlung Meurer, Horngasse 1, für jeweils 15 Euro (Selbstkostenpreis) zu erwerben.

Quelle: Aachener Zeitung, 23. Juli 2011