Elsbeth Weyl geborene Heynemann
Alfred Ludwig Weyl
Marianne Weyl
Otto Richard Weyl
Von Hannelore Herpertz Aachen im Juli 2018
Die Witwe Elsbeth Weyl lebte im Jahr 1939 mit ihren Kindern Marianne und Otto im Haus Beverstraße 4 in Aachen.1
Frau Katharina Sieber, Spielgefährtin der beiden Kinder aus dem Nachbarhaus, erinnert sich, dass der Hauseigentümer und seine Familie auch während der NS-Zeit immer Juden als Mieter hatten.2
Elsbeth Heynemann wurde am 2. Februar 19023 in Vlotho geboren. Sie heiratete Alfred Ludwig Weyl am 28. Januar 1927 in ihrer Heimatstadt.4 Bei Eheschließung lebte sie in der Lange Straße 83 und Alfred Weyl im Haus seiner Eltern in Jülich, Kölnstraße 5.5
Die Eltern von Elsbeth Weyl waren Samson Heynemann, der am 1. November 1860 geboren und am 15. August 1942 in Theresienstadt ermordet wurde, und Hedwig Heynemann, geborene Cohn, geboren am 30. Mai 1874. Zu ihrem Tod gibt es keine Angaben. Der Vater hatte zwei Brüder: Albert, geboren am 15. Mai 1864, und Max Moses, geboren am 18. Mai 1866.6
Erste Verbindungen der beiden Familien gab es bereits im 19. Jahrhundert. Am 15. oder 17. Februar 1860 heiratete Samson Heynemann im Alter von 44 Jahren Rosette Weyl aus Haltern (geboren am 12. September 1834 und verstorben am 4. Juli 1884). Rosettes Eltern waren Moses Weyl und Julie Hope.7 Bis wenige Monate vor ihrer Hochzeit hatten Alfred und Elsbeth einen zumindest zeitlich parallelen Aufenthalt in Cleve, das damals noch mit C geschrieben wurde. Alfred lebte vom 25. Mai 1925 bis zum 31. August 1926 in der Römerstraße, während Elsbeth sich bereits seit August 1924 in Cleve aufhielt.8 Beide kehrten am selben Tag nach Hause zurück.9 Sie könnten sich dort also kennengelernt haben.
Alfred Ludwig Weyl wurde am 16. Oktober 1901 in Jülich geboren. Seine Eltern waren der Kaufmann Albert Weyl (geboren am 30. Juli 1864 in Erkelenz und gestorben am 29. Juni 1937 in Wuppertal-Elberfeld) und Jeanette Weyl, geborene Löwenherz, ebenfalls 1864 geboren. Sie hatten vier Kinder. Alfred war das jüngste.
Das älteste Kind war ein Mädchen, die Tochter Ida (geboren am 13. November 1892 in Jülich). Sie heiratete Dr. Siegfried Aaron aus Velbert. Sie hatten einen Sohn, Richard Otto, und lebten in Wuppertal-Barmen. Mit Mann und Sohn floh sie in die Niederlande, wo sie bis zur Okkupation an der Küste lebten; wahrscheinlich wurden sie 1941 in Zutphen verhaftet und deportiert. Auch sie wurden Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie. Ida Aaron wurde in Bergen-Belsen oder Auschwitz ermordet, ihr Mann Dr. Siegfried Aaron am 18. April 1945 in Auschwitz, ihr Sohn Richard Otto Weyl am 28. Februar 1943 ebenfalls in Auschwitz.
Die beiden älteren Brüder, Richard (geboren 30. Mai 1895) und Otto (geboren 10. Februar 1897), fielen 1917 im Ersten Weltkrieg als deutsche Soldaten. Zur Erinnerung an sie erhielten die Söhne der Geschwister ihre Vornamen.
Vater Albert Weyl lebte seit 1890 in Jülich in der Kölnstraße 5, wo er – inmitten vieler anderer jüdischer und nichtjüdischer Kaufleute und Handwerker – ein Textilgeschäft betrieb. Am 1. April 1933 wurde auch in Jülich der «reichsweite» Boykott jüdischer Geschäfte von SA-Männern in Uniform durchgeführt. Sie versuchten die Kunden vom Betreten der jüdischen Geschäfte abzuhalten. Und es blieb nicht bei dem eintägigen Terror. Danach wurde zum Beispiel Jeanette Weyl in dem Friseurgeschäft, in dem sie langjährige Stammkundin war, nicht mehr bedient. Ein Zeitzeuge kann sich erinnern, wie Frau Weyl nach dieser Abfuhr weinend in ihr Geschäft in der Kölnstraße kam. Ihr Ehemann Albert ließ sich die benötigten Medikamente durch eine katholische Angestellte aus der Adler-Apotheke Berchem besorgen, weil er sich nicht mehr auf die Straße wagte. Man vermied es, in der Öffentlichkeit mit Juden gesehen zu werden. Das Textilgeschäft musste aufgegeben werden; der Eintrag beim Amtsgericht Jülich ist mit Datum 21. März 1938 erloschen.
Über die Todesumstände von Albert und Jeanette Weyl liegen keine Dokumente vor.10
Die beiden Kinder von Alfred und Elsbeth Weyl, Marianne und Otto Richard, wurden in Jülich geboren11. Anzunehmen ist deshalb, dass die Familie bis zu ihrem Umzug nach Aachen dort gelebt hat. Wann und warum die Familie nach Aachen zog, ist nicht bekannt. Marianne ist noch 1936 in Jülich, Kölnstraße 5 gemeldet und als Schülerin der israelitischen Volksschule in Linnich.12
Ob die zunehmenden Intrigen und Schikanen, Diskriminierungen und Entrechtungen ausschlaggebend waren, dem engen sozialen Umfeld zu entfliehen, in dem jeder jeden kannte, um in der Anonymität der Großstadt unterzutauchen, ist Spekulation. Auch, ob Alfred Weyl krank war und in der Stadt näher bei den nötigen Ärzten war.
Alfred Weyl verstarb am 21. Januar 1938 in Aachen, im Alter von nur 36 Jahren.13
Seit dem 26. August 1939 lebten Marianne und Otto in Vlotho bei den Großeltern, wurden jedoch erst einen Monat später dort angemeldet. Und schon am 4. November des Jahres wurde Marianne wieder abgemeldet, dieses Mal nach Köln zur Aachener Straße. Otto wurde am 16. November nach Aachen abgemeldet.14
Nur die Witwe Elsbeth Weyl ist für 1939 und nur für dieses eine Jahr in Aachen unter der Adresse Beverstraße 4 gemeldet.15 Die Heberolle der Jüdischen Synagogengemeinde zu Aachen weist für das Jahr 1938 nennenswerte Vermögen für sie und die Kinder aus.16
Die Nachbarin Frau Sieber erinnert sich gut an die Kinder: Marianne, etwas älter als sie selbst, am 29. Januar 1928 geboren, ein liebes Mädchen mit hellerem Haar. Und Otto Richard, etwas jünger, am 28. Juni 1931 geboren, ein Tunichtgut mit dunklen, «krolligen» Haaren, der die Mädchen gerne zankte. Sie haben draußen viel miteinander gespielt.17
Im Haus in der Beverstraße wohnten auch die jüdischen Familien Rose von 1933 bis 1937 und Neckarsulmer von 1934 bis 1938. Dass lange nach 1935, dem Jahr der Nürnberger Rassengesetze, noch einmal eine jüdische Familie aufgenommen wurde, darüber wunderte sich Frau Sieber.18
Einige kleine Erinnerungen hat sie im Gedächtnis bewahrt:
Ein Auto steht vor dem Haus Nummer 4, schräg auf den Bürgersteig gefahren, darin ein Mann, der krank ist. Sie weiß jedoch nicht mehr, wer der Mann ist. Im Wagen sieht sie außerdem mehrere rote Kissen. Sie sieht diese Szene vom Fenster aus.
Und sie steht mit anderen Kindern vor dem Haus und auf der anderen Straßenseite geht Marianne, die schon nicht mehr nebenan wohnt. Erst als Marianne vorbei ist, dreht sie sich um und winkt den Kindern zu. Aber sie kommt nicht zu ihnen.19
Die Vermutung liegt nahe, dass die Mutter und die beiden Kinder bereits im Lager lebten; Belege gibt es auch dafür nicht. Laut Auskunft des International Tracing Service ITS in Bad Arolsen wurden alle drei am 22. März 1942 mit Zug Nummer DA 17 mit vielen anderen Juden von Aachen nach Izbica in Polen deportiert. Auf der dort verwahrten Deportationsliste erscheinen die Namen nicht.20 Wo sie nach 1939 bis zu ihrer Deportation lebten, ist nicht bekannt. Wie auch das weitere Schicksal der Witwe Weyl und ihrer Kinder unbekannt ist. Sie gelten als verschollen.
Marianne wurde vom Amtsgericht Aachen mit Datum 31. Dezember 1942 für tot erklärt, Otto und die Mutter Elsbeth mit Datum 8. Mai 1945.21
- Vgl. Interview mit der Zeitzeugin Frau Katharina Sieber am 8. März 2017; Stadtarchiv Aachen, Adressbücher 1933–1942. ↩
- Vgl. Interview mit der Zeitzeugin Frau Katharina Sieber am 8. März 2017. ↩
- Vgl. Gedenkbuchprojekt für die Opfer der Shoah aus Aachen e.V. ↩
- Vgl. Stadtarchiv Vlotho. ↩
- Vgl. Ebenda. ↩
- Vgl. Ebenda. ↩
- Vgl. Ebenda. ↩
- Vgl. Stadtarchiv Vlotho. ↩
- Vgl. Ebenda. ↩
- Vgl. Spelthahn, Heinz; Spelthahn, Gabriele: Entrechtet – entwurzelt – ermordet. Buch der Erinnerungen an die Juden im Jülicher Land. Veröffentlichungen des Jülicher Geschichtsvereins 1923 e.V.; Datum der Firmenlöschung: vgl. Geschichtswerkstatt Düren (Hrsg): Spuren jüdischen Lebens in Düren. Namensliste der Jüdinnen und Juden aus den Landkreisen Düren und Jülich. ↩
- Vgl. Stadtarchiv Vlotho. ↩
- Vgl. Geschichtswerkstatt Düren a.a.O. ↩
- Vgl. Stadtarchiv Aachen, StAmt, Eintrag 164/1938. ↩
- Vgl. Stadtarchiv Vlotho. ↩
- Vgl. Stadtarchiv Aachen, Adressbücher 1933–1942. ↩
- Vgl. Lepper, Herbert a.a.O. ↩
- Siehe Interview mit der Zeitzeugin Frau Katharina Sieber am 8. März 2017; vgl. Geburtsdaten: ITS International Tracing Service Bad Arolsen. ↩
- Siehe Interview mit der Zeitzeugin Frau Katharina Sieber am 8. März 2017. ↩
- Vgl. Ebenda. ↩
- Vgl. ITS International Tracing Service Bad Arolsen. ↩
- Vgl. Spelthahn Heinz; Spelthahn, Gabriele a.a.O. ↩