Dr. Adolf Rosenthal
Gertrud Rosenthal geborene Heilbrunn
Von Günter Müller Aachen im Mai 2018
Am 11. August 1873 kam Adolf Rosenthal als Sohn jüdischer Eltern in Mayen zur Welt. Sein Vater Elias Rosenthal war am 10. Januar 1846 ebendort geboren worden, seine Mutter als Amalie May am 11. Juni 1849 in Niedermendig.1 Elias Rosenthal war Immobilienmakler, dessen Geschäftsfeld bis in den Bonner Raum reichte2; er war Vorstand der Synagogengemeinde Mayen und Vorsitzender des Israelitischen Jünglingsvereins Chewra Kadischa, dessen Vereinszweck in der Gewährung von Ausbildungsbeihilfen zum Erlernen produktiver Berufe bestand.3 Über weitere Kinder der Eheleute Rosenthal ist nichts bekannt. Amalie Rosenthal verstarb am 20. September 1918 in Mayen, ihr Ehemann Elias am 24. Juli 1920 in Baden-Baden.4
Adolf Rosenthal nahm das Studium der Rechtswissenschaften auf, das er am 11. Juni 1896 mit der ersten juristischen Staatsprüfung in Köln abschloss. Am 27. Juni 1896 wurde er durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Köln zum Referendar ernannt und dem Landgericht Koblenz überwiesen. Zuvor hatte er die Bescheinigung des Bürgermeisters von Mayen, dass sein Vater in der Lage sei, ihn während fünf Jahren standesgemäß zu unterhalten sowie eine entsprechende Verpflichtungserklärung des Vaters beibringen müssen. Die vierjährige Gesamtdauer des Referendariats5 endete mit der letzten Ausbildungsstation am Oberlandesgericht Köln.6 Daran anschließend unterzog Adolf Rosenthal sich der zweiten – großen – Staatsprüfung mit Erfolg. Im Jahr 1896 war er mit der Dissertation zum Thema «Die Anfechtung des Verkaufs wegen Verletzung über die Hälfte und der Sachwucher nach dem Reichsgesetz vom 19. Juli 1893» in Erlangen zum Doktor der Jurisprudenz promoviert worden.7
Nach der erfolgreich abgelegten zweiten – großen – Staatsprüfung wurde Adolf Rosen-thal im Jahr 1901 zum Gerichtsassessor ernannt und dem Amtsgericht Köln zur unentgeltlichen Beschäftigung überwiesen. Als Assessor kommissarisch tätig wurde er an den Amtsgerichten Köln, Barmen, Gummersbach, Krefeld, Duisburg und Kerpen sowie am Landgericht Köln. Seit dem 17. April 1905 war er bezahlter Hilfsrichter am Landgericht Köln, wo er zunächst einer Zivilkammer und sodann einer Strafkammer angehörte. Er wurde schließlich vom Preußischen König mittels Bestallung vom 18. Mai 1908 zum Landrichter ernannt und trat am 1. Juni 1908 sein Amt beim Landgericht Aachen an.8
Am 30. Mai 1913 schloss Adolf Rosenthal in Erfurt die Ehe mit der am 30. August 1884 ebendort geborenen Gertrud Heilbrunn. Deren Vater Leopold Heilbrunn, geboren am 21. August 1849 in Herleshausen, handelte unter der Firma K. Heilbrunn mit Därmen, Gewürzen, Fleischwaren und Fellen und war Stadtverordneter in Erfurt sowie Mitbegründer der Ortsgruppe des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens9 und der Er-furter Freimaurerloge; Gertruds Mutter war als Hedwig Heimbach am 16. Mai 1856 in Menden geboren worden. Leopold Heilbrunn starb am 12. Juni 1928, seine Ehefrau Hedwig am 24. Dezember 1935; beide Eltern wurden auf dem jüdischen Friedhof von Erfurt beigesetzt. Gertrud Rosenthal hatte vier Geschwister: die Brüder Karl und Heinrich sowie die Schwestern Elsbeth und Marianne. Von ihrem Bruder Karl, einem Rechtsanwalt und Notar, ist bekannt, dass dieser im November 1938 in das Konzentrationslager Buchenwald eingeliefert wurde, wo er durch Misshandlungen ein Augenleiden erlitt, und im darauffolgenden Jahr nach London auswanderte.10
Aus der Ehe von Adolf und Gertrud Rosenthal ging die am 22. Februar 1914 geborene Tochter Marianne hervor. Diese verstarb am 5. Juli 1938, im Alter von nur 24 Jahren im Luisenhospital in Aachen an den Folgen eines Autounfalls. Am 20. November 1934 hatte sie den am 3. Juni 1906 in Aachen-Burtscheid als Sohn von David – genannt Emil – und Anna Rosenberg geborenen jüdischen Kaufmann Hans Rosenberg geheiratet. Hans Rosenberg emigrierte in die Niederlande, wurde jedoch später in das Konzentrations- und Vernichtungslager Ausch-witz deportiert und dort am 5. März 1943 ermordet.11
Am 2. August 1914 wurde Adolf Rosenthal zum Heeresdienst einberufen. Bei einem Einsatz an der Ostfront erlitt er im Juli 1915 eine Verwundung, derentwegen er in das Lazarett in Stettin aufgenommen wurde. Ihm wurden im Januar 1916 das Eiserne Kreuz II. Klasse und im September 1918 das Verwundeten-Abzeichen in Schwarz12 verliehen. Ab dem 10. Mai 1916 war er, zuletzt zum Vizefeldwebel befördert, wegen einer Erkrankung vom Heeresdienst zurückgestellt worden. Am Folgetag nahm er seinen Dienst beim Landgericht Aachen wieder auf.13
Im April 1915 war Adolf Rosenthal vom Preußischen König der «Karakter als Landgerichtsrat» verliehen worden.14 In der Folgezeit bewarb er sich mehrfach um eine Beförderungsstelle; der Landgerichtspräsident hatte ihm schon im Juli 1917 bescheinigt, er sei «gut beanlagt, in seinen Leistungen voll befriedigend».15 Am 12. Februar 1927 schließlich zum Landgerichtsdirektor ernannt, führte Adolf Rosenthal den Vorsitz in einer Kammer für Handelssachen und einer großen Strafkammer. Bereits seit 1921 war er – damals noch als Landgerichtsrat – zum Vorsitzenden einer Kammer für Handelssachen bestellt; zusätzlich hatte ihn der Preußische Justizminister aus Anlass der Neueinrichtung der Strafgerichte am 1. April 1924 zum Amtsgerichtsrat in Aachen ernannt.16
In seiner Eigenschaft als Jurist hatte Adolf Rosenthal neben seinem Richterberuf weitere Aufgaben übernommen. Er war im Oktober 1919 durch den Reichsschatzmeister in Berlin im Einvernehmen mit dem Preußischen Justizminister zum Vertreter des Vorsitzenden der Rückzahlungskommission ernannt und im November 1920 vom Aachener Regierungspräsidenten zum unparteiischen Vorsitzenden des Bezirksschlichtungsausschusses17 berufen worden. Ferner hatte ihn der Reichspräsident im Jahr 1922 zum stellvertretenden Mitglied der Reichsdisziplinarkammer in Köln18 ernannt. Im Dezember 1923 folgte seine Ernennung zum Beauftragten in Gnadensachen für den Bezirk des Landgerichts Aachen durch den Justizminister.19
Am 1. April 1933 bat Adolf Rosenthal um «Beurlaubung bis auf weiteres», die ihm bewilligt wurde. Die Beurlaubung dürfte im Zusammenhang mit einer Anweisung des Kommissars des Reiches für das Preußische Justizministerium vom 31. März 1933 an die Gerichte gestanden haben20, die das «Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums» vom 7. April 1933, das die Versetzung «nichtarischer» Beamter in den Ruhestand vorsah, in gewisser Weise vorwegnahm. Nach der Zugehörigkeit zu politischen Parteien befragt21, gab Adolf Rosenthal an, er habe «der Deutschen Demokratischen bzw. Staatspartei von 1928 oder 1929 an bis zur Auflösung der Ortsgruppe Aachen angehört».22
Als Frontkämpfer, für den das Gesetz vom 7. April 1933 eine Ausnahme von der vorzeitigen Pensionierung zuließ, kehrte Adolf Rosenthal nach kurzer Zeit an seinen Arbeitsplatz zurück.23 Die Fortführung seiner Richtertätigkeit war indessen nicht von langer Dauer. «Unter Bezugnahme auf meine Unterredung mit Herrn Ministerialrat Lutterlich (JM Berlin)» – so heißt es im nachfolgenden Antrag vom 31. August 1933 – «bitte ich, mich gemäß § 38 der zweiten Sparverordnung v. 23.12.31 … in den Ruhestand zu versetzen, da ich am 11.8.33 mein 60. Lj. vollendet habe».24 Anlass und Verlauf des Gesprächs im Ministerium sind, wie zu erwarten war, nicht dokumentiert. Dem Antrag auf Versetzung in den dauernden Ruhestand wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1934 stattgegeben.
In der Synagogengemeinde Aachen engagierte sich Adolf Rosenthal über viele Jahre hin. Bereits im Februar 1924 wurde er zum Mitglied der Repräsentantenversammlung gewählt; in den Jahren 1930 und 1937 erfolgte jeweils seine Wiederwahl. Mehrfach, zuletzt 1937, wählte man ihn zum Vorsitzenden der Versammlung und schließlich auch zum Vorsitzenden des von dieser bestellten Gemeindevorstands.25 Darüber hinaus war er Vorsitzender des Altenheims Aachen der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland.26
Adolf Rosenthal war ferner seit 1910 Mitglied der Aachener Sektion des Alpenvereins und hat in dieser Eigenschaft an mindestens einer Wanderung teilgenommen.27
In der Heberolle der Synagogengemeinde für das Jahr 1916 sind für Adolf Rosenthal ein Einkommensteuerbetrag von 420 RM sowie ein zu leistender Gesamtbeitrag für die Gemeinde von 92,40 RM ausgewiesen. Die «Nachweisung» über das Vermögen der Juden in der Stadt Aachen vom 12. November 1938 beziffert sein Grundvermögen auf 1,91 RM und sein sonstiges Vermögen auf 59.504,57 RM.
Die Aachener Wohnanschriften von Adolf Rosenthal wechselten mehrfach. Dieser hatte sich zunächst in der Augustastraße 23, im Jahr 1911 in der Heinrichsallee 25 und 1912 in der Luisenstraße 8 eingemietet, wo zunächst auch beide Eheleute nach ihrer Heirat wohnten, bevor sie im Jahr 1915 in die Kaiserallee 87 und schließlich 1932 in die Frankenberger Straße 20 verzogen.28 Sie wurden am 18. Juni 1943 von dort abgeholt und über Köln mit dem Transport Nr. III/8 der Gestapo nach Theresienstadt deportiert.29 Nach der Deportation wurden ein Teil der Einrichtung der von ihnen zuletzt gemieteten 5-Zimmer-Wohnung versteigert und das restliche Mobiliar vom Wohnungsamt der Stadt Aachen dem Nachmieter zur Nutzung überlassen. Ferner wurden Wertgegenstände an die Pfandleihanstalt Aachen abgeliefert, die daraus insgesamt 6.843,50 RM erlöste, und Bankguthaben von 4.800 RM sowie 882,50 RM zugunsten des Reichs eingezogen.30
Adolf und Gertrud Rosenthal wurden am 28. Oktober 1944 von Theresienstadt in das Vernichtungslager Auschwitz verbracht und dort ermordet.31
- Vgl. Familienbuch a.a.O. Mitteilung Heike Hänsgen, Stadtarchiv Erfurt. ↩
- Vgl. Familienbuch a.a.O. ↩
- Vgl. Arntz, Hans-Dieter: Die Juden von Mayen, 2007, www.hans-dieter-arntz.de ↩
- Vgl. Familienbuch a.a.O. Mitteilung Heike Hänsgen, Stadtarchiv Erfurt. ↩
- Nach § 6 des preußischen Gesetzes über die juristischen Prüfungen und die Vorbereitung zum höheren Staatsdienste vom 6.5.1869 (prG 1869 S.656) hatten Referendare, bevor sie zur Zweiten – der Großen – Staatsprüfung zugelassen werden konnten, eine Vorbereitungszeit von vier Jahren im praktischen Dienst zurückzulegen. ↩
- Landesarchiv NRW Abt. Rheinland, Personalakten Rep. 245 Nr. 93. ↩
- Vgl. Luig, Klaus: …weil er nicht arischer Abstammung ist. Köln 2004, S. 318. ↩
- Landesarchiv a.a.O. ↩
- Der Central-Verein jüdischen Glaubens (CV) repräsentierte die Mehrheit der assimilierten bürgerlich--liberalen Juden in Deutschland, trat für deren Bürgerrechte und ihre gesellschaftliche Gleichstellung ein und versuchte, Judentum und Deutschtum miteinander zu vereinbaren (https://de.wikipedia.org). ↩
- Vgl. Juden in Thüringen 1933–1945: Biographische Daten, hrsg. vom Europäischen Kulturzentrum in Thüringen, Erfurt, korrigierte und erweiterte Auflage des 2. Bandes Mai 2002. ↩
- Mitteilung Angelika Pauels, Stadtarchiv Aachen. ↩
- Das Verwundetenabzeichen in Schwarz war von Kaiser Wilhelm II. am 3. März 1918 für Angehörige des Heeres wegen ein- oder zweimaliger Verwundung gestiftet worden (https://de.wikipedia.org). ↩
- Landesarchiv a.a.O. ↩
- Ebenda. ↩
- Vgl. Luig, Klaus a.a.O. ↩
- Landesarchiv a.a.O. ↩
- Nach dem am 4.2.1920 in Kraft getretenen Betriebsrätegesetz war Aufgabe des Schlichtungsausschusses die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber bzw. zwischen Arbeiterräten und Angestelltenräten einerseits und Arbeitgeber andererseits. ↩
- Die Reichsdisziplinarkammern hatten nach dem Reichsbeamtengesetz vom 31. März 1873 erstinstanzlich in Disziplinarverfahren zu entscheiden. ↩
- Landesarchiv a.a.O. ↩
- Vgl. Bierganz/Kreutz, Juden in Aachen, 1988, S. 37. ↩
- Im «Fragebogen zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 6.4.1933». ↩
- Die Deutsche Demokratische Partei (DDP) war eine linksliberale Partei. Vor der Reichstagswahl 1930 vereinigte sie sich mit der Volksnationalen Reichsvereinigung zur Deutschen Staatspartei; diese wurde im Rahmen der Gleichschaltung am 28.6.1933 aufgelöst (https://de.wikipedia.org). ↩
- Vgl. Luig, Klaus a.a.O. ↩
- Die Regierung Preußens hatte durch eine Sparnotverordnung die Altersgrenze für Beamte von ursprünglich 65 Jahren herabgesetzt. ↩
- Vgl. Lepper, Herbert a.a.O., S. 56, 123, 137. ↩
- Vgl. Lepper, Herbert a.a.O. S. 137. ↩
- Vgl. Ingbert Babst a.a.O. ↩
- Vgl. Adressbücher der Stadt Aachen 1909 bis 1942. ↩
- Vgl. Gedenkbuch Koblenz a.a.O. ↩
- Landesarchiv NRW Abt. Rheinland, Wiedergutmachungsakten Rep. 235 Nrn. 2234, 2236 und 3976 sowie Rep. 266 Nr. 12298. ↩
- Vgl. Gedenkbuch Koblenz a.a.O. ↩