Gedenkbuch 2019

Felix Naumann
Edith Naumann geborene Hurtig

Von Günter Müller Aachen im Juni 2018

Jacob Felix Naumann kam am 15. Juli 1882 in Berlin als Sohn des Kaufmanns Leiser Louis Naumann und seiner Ehefrau Friederike Ulrike Naumann, geborene Bernstein, zur Welt. Leiser Naumann stammte als Sohn des Handelsmanns Jacob Naumann und dessen Ehefrau Hanna, geborene Gumperich, aus Pasewalk, Friederike Naumann als Tochter des Kaufmanns Louis Bernstein und seiner Ehefrau Rosalie, geborene Morgenstern, aus Magdeburg; Leiser und Friederike hatten am 6. Februar 1877 in Berlin geheiratet.1

Felix Naumann studierte nach seiner Schulausbildung Rechtswissenschaften; am 18. November 1907 legte er am Königlichen Kammergericht Berlin die Erste Juristische Staatsprüfung mit der Note «ausreichend» ab. Bei der anschließenden Bewerbung um eine Referendarstelle musste sein Vater sich verpflichten, ihm «während der Dauer des Vorbereitungsdienstes als Referendar, mindestens aber für fünf Jahre den standesgemäßen Unterhalt im Mindestwerte von jährlich 1500 Mark zu gewähren».2 Der Vorstand des 13ten Polizeireviers bescheinigte, dass sich Louis Naumann «in der Vermögenslage befindet, die übernommene Verpflichtung zu erfüllen». Am 7. Dezember 1907 wurde Felix Naumann vom Kammergerichtspräsidenten zum Referendar ernannt. Zwei Tage später trat er seinen Dienst am Amtsgericht Bernau an. In der Folge war er während der insgesamt vierjährigen Vorbereitungszeit auch am Landgericht Berlin, bei der Staatsanwaltschaft I, bei einem Rechtsanwalt, am Amtsgericht Berlin-Wedding und am Kammergericht als Referendar tätig. Auf sämtlichen Ausbildungsstationen wurden ihm gute Leistungen attestiert. Die Zweite – Große – Staatsprüfung bestand er am 17. Juli 1912 mit dem Prädikat «gut».3

Am 26. August 1912 wurde Felix Naumann vom Kammergerichtspräsidenten dem Amtsgericht Berlin-Schöneberg zur unentgeltlichen Beschäftigung überwiesen. In seiner Zeit als Gerichtsassessor ließ er sich mehrfach zu dem Zweck beurlauben, die Vertretung von Rechtsanwälten zu übernehmen. Unter anderem vertrat er in den Jahren 1913 und 1914 die Rechtsanwälte Bonwit und Justizrat Goldbaum in Duisburg. Von seinem Dienstherrn wurde er zu kurzzeitigen Richtervertretungen an den Amtsgerichten Zielenzig, Oderberg und Berlin-Schöneberg eingesetzt, vorübergehend zum Hilfsrichter beim Landgericht Berlin II bestellt und zum Vertreter eines zum Kriegsdienst abgestellten Rechtsanwalts und Notars in Tegel berufen.4

In der Zeit vom 12. April 1915 bis 23. Januar 1919 leistete Felix Naumann Militärdienst. Er wurde im Krieg bei der Landsturm-Infanterie an der Ostfront eingesetzt, wo er an mehreren Gefechten beteiligt war, im Januar 1918 zum Unteroffizier befördert und im September 1918 zum Zahlmeister-Stellvertreter ernannt. Nach seiner Entlassung aus dem Heeresdienst ließ er sich zunächst beurlauben, um eine Tätigkeit in der Rechtsabteilung der Zentral-Einkaufsgenossenschaft in Berlin aufzunehmen und trat am 1. Oktober 1919 seinen Dienst am Amtsgericht Berlin-Schöneberg wieder an. Mit Wirkung vom 1. Juni 1920 wurde Naumann zum Landrichter am Landgericht Berlin I ernannt.5

Am 3. Oktober 1922 schloss Felix Naumann in Berlin die Ehe mit der am 20. September 1895 geborenen Edith Hurtig, einer Tochter des Hermann Hurtig und seiner Ehefrau Rosalie, geborene Brisch. Hermann Hurtig betrieb in Berlin-Mitte, Raupachstraße 15 eine Agentur für Immobilien.6 Die Ehe von Felix und Edith Naumann blieb kinderlos.

In den Jahren 1924 bis 1926 wurde Naumann als Landgerichtsrat zum Vorsitzenden einer Kammer für Handelssachen am Landgericht Berlin I bestellt. Anfang 1927 wurde er als Hilfsrichter zum Kammergericht abgeordnet, dem er seit dem 1. September 1927 als Kammergerichtsrat angehörte. In der Folgezeit war er an verschiedenen Zivilsenaten tätig, widmete sich der Referendarausbildung und war mehrere Jahre lang nebenamtlich Mitglied des Juristischen Landesprüfungsamtes. In dem Beförderungsbericht 1933 seines Senatsvorsitzenden heißt es: «Herr Kammer-gerichtsrat Naumann ist besonders fleißig und sorgfältig. Er hat sehr gute, ausgebreitete Rechtskenntnisse und ein sicheres, dem praktischen Bedürfnis Rechnung tragendes Urteil. Der Ausbildung der Referendare nimmt er sich mit besonderem Eifer an. Ich halte ihn für geeignet zum Reichsgerichtsrat.» In der letzten Beurteilung aus dem Vorjahr hatte der Kammergerichtspräsident vermerkt: «Auch in anderen Senaten haben die Leistungen Naumanns den Durchschnitt erheblich überstiegen.»7

Im Mai 1933 wurde Felix Naumann als Jude bis auf weiteres beurlaubt.8 Aufgrund seiner Mitgliedschaft im Republikanischen Richterbund von Frühjahr bis Herbst 19329 drohte ihm die Entlassung aus dem Richterdienst wegen politischer Unzuverlässigkeit nach § 4 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933.10 Der Repu-blikanische Richterbund war 1922 als Reaktion auf eine der Weimarer Republik neutral bis offensichtlich ablehnend gegenüberstehende Richterschaft gegründet worden und wurde nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten aufgelöst.11 Der Kammergerichts-präsident setzte sich letztlich mit Erfolg dafür ein, dass Naumann als Frontkämpfer im I. Weltkrieg nicht entlassen und dass stattdessen von der Regelung des § 5 Abs. 1 des Berufsbeamtengesetzes Gebrauch gemacht wurde, welche alternativ die Versetzung in ein anderes Amt vorsah. Zum 1. November 1933 wurde Naumann unter Beibehaltung seiner Amtsbezeichnung sowie des Diensteinkommens nach der bisherigen Stelle als Amtsgerichtsrat an das Amtsgericht Aachen versetzt. Zuvor musste er die Erklärung abgeben, dass zwischen ihm und dem Republikanischen Richterbund keinerlei Beziehungen mehr bestehen. Am Aachener Amtsgericht war er fortan im Grundbuchamt eingesetzt.12

Zwischen der Bekanntmachung der Versetzungsverfügung und dem Dienstantritt am Amtsgericht Aachen lagen nicht einmal vier Wochen. Bei ihrer Ankunft in Aachen am 29. Oktober 1933 hatten Felix und Edith Naumann noch keine Wohnung gefunden, weshalb sie einen Monat lang mit einem möblierten Zimmer vorlieb nehmen mussten; da ihnen keine Küche zur Verfügung stand, waren sie gezwungen, währenddessen ihre Hauptmahlzeiten in Gaststätten einzunehmen.13 Zum 1. Dezember 1933 bezogen sie eine Mietwohnung in dem Mehrfamilienhaus Alfonsstraße 3814, das im Eigentum der «Kaußenschen Erben» stand.15

Sogar als von den Nationalsozialisten verfolgter Jude musste Naumann im August 1934 einen Diensteid auf Adolf Hitler ablegen.16 Am 31. Dezember 1934 wurde er letztmals beurteilt mit der Einschätzung: «Verwaltet sein Dezernat (Grundbuchsachen) mit großem Fleiß. Führung einwandfrei.» Am 1. Oktober 1935 wurde Naumann erneut beurlaubt.17 Aufgrund des Reichsbürgergesetzes vom 15. September 1935, wonach als Reichsbürger nur der «Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes» galt,18 in Verbindung mit § 4 der Ersten Verordnung dazu19 wurde er mit Ablauf des 31. Dezember 1935 in den Ruhestand versetzt. Bezeichnend ist, dass eine Durchschrift des Entlassungsbescheides an den Gauleiter des Gaues Köln-Aachen erging.20 Im Jahr 1936 kehrten die Eheleute Naumann nach Berlin zurück, wo sie eine Wohnung im Hause Martin-Luther-Straße 14 zu Schöneberg anmieteten.21

 

Am 28. Mai 1943 wurden Felix und Edith Naumann von Berlin mit dem Transport I/95 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Von dort wurden sie am 19. Oktober 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verschleppt und ermordet.22

 

 

 

 


  1.         Vgl. Landesarchiv Berlin, P Rep. 523 Nr.179, 806 Nr.253, 809 Nr.917.
  2.         Damals erhielten Referendare keine staatlichen Bezüge.
  3.         Vgl. Landesarchiv NRW Abt. Rheinland, Personalakten BR-PE Nr.1365.
  4.         Vgl. Ebenda.
  5.         Vgl. Ebenda.
  6.         Vgl. Adressbuch von Berlin 1922.
  7.         Vgl. Landesarchiv NRW a.a.O.
  8.         Aufgrund des Erlasses des Preußischen Justizministers vom 31. März 1933 – I. 9343 –, eines Vorgriffs auf das Berufsbeamtengesetz, vgl. ebenda.
  9.         Außerdem war Naumann von 1920 bis April 1933 Mitglied des – konservativ ausgerichteten – Preußischen Richtervereins.
  10.         Vgl. RGBl. I 1933 S. 175.
  11.         Vgl. https://de.wikipedia.org . Sein Vorsitzender Wilhelm Kroner kam 1942 im Ghetto Theresienstadt ums Leben.
  12.         Vgl. Landesarchiv a.a.O.
  13.         Vgl. Ebenda.
  14.         Vgl. Lepper, Herbert a.a.O., S. 1600.
  15.         Vgl. Adressbuch der Stadt Aachen 1933.
  16.         Gemäß § 2 des Gesetzes über die Vereidigung der Beamten und der Soldaten der Wehrmacht vom 20. August 1934 (RGBl. I S.785): «Ich schwöre: Ich werde dem Führer des deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe.»
  17.         Gemäß Rundverfügung des Reichsministers der Justiz vom 30. September 1935 – Ia 10712/35 –, Landesarchiv a.a.O.
  18.         Vgl. RGBl. I S. 1146.
  19.         Vom 14. November 1935 (RGBl. I S. 1333), § 4 Abs. 2: «Jüdische Beamte treten mit Ablauf des 31. Dezember 1935 in den Ruhestand.»
  20.         Vgl. Landesarchiv a.a.O.; Gauleiter war Josef Grohé.
  21.         Vgl. Adressbuch von Berlin 1937.
  22.         Vgl. Gedenkbuch Koblenz a.a.O.