Gedenkbuch 2019

Dr. Alfred Mendel

Von Günter Müller Aachen im Juni 2018

Alfred Mendel kam am 16. März 1911 in Jülich als Sohn jüdischer Eltern zur Welt. Sein Vater Moritz Mendel, am 25. April 1876 in Tetz (heute Linnich) geboren, war von Beruf Viehhändler; er war der Sohn des Kaufmanns Aron Mendel und dessen Ehefrau Emma geborene Cossmann.1 Eine der Schwestern des Moritz Mendel, Carolina Goldsteen-Mendel, wurde 1943 in Auschwitz ermordet.2 Nachdem Moritz Mendel am 2. Mai 1904 die am 30. März 1878 in Garzweiler geborene Johanna Levy geheiratet hatte, zog er von Tetz nach Jülich.3

Moritz und Johanna Mendel hatten sechs weitere, sämtlich in Jülich zur Welt gebrachte Kinder. Johanna Mendel gebar am 4. Mai 1905 Karl, am 23. Juni 1907 Max, am 22. April 1909 Meta, am 15. April 1913 Willi, am 18. Oktober 1914 Helene und am 17. Oktober 1917 Rudolf.4 Die Familie Mendel wohnte zunächst im Haus Düsseldorfer Straße 29 und später in der Düsseldorfer Straße 24. Nach der Aussage des Bruders Rudolf Mendel im Entschädigungsverfahren musste die Familie etwa 1935 das von der evangelischen Gemeinde gemietete Haus Nr. 29 verlassen, weil sie der Gemeinde «nicht mehr genehm» war, und Ende 1937 wiederum von der Düsseldorfer Straße 30 in das Haus Neusser Straße 1 umziehen.5

Alfred Mendel besuchte das Staatliche Gymnasium Jülich,6 wo er im Jahr 1930 das Abitur bestand.7 Anschließend studierte er acht Semester Rechtswissenschaften in Köln und Breslau, wurde wegen seiner jüdischen Abstammung dann aber nicht mehr zum Referendar-examen zugelassen. Er konnte jedoch an der Universität zu Köln noch promovieren und lieferte bei Prof. H.C. Nipperdey seine Dissertation zum Thema «Die Ausübungsüberlassung beim Nießbrauch und den beschränkt-persönlichen Dienstbarkeiten» ab; das mündliche Doktorexamen bestand er am 6. Juli 1934 mit der Note ausreichend.8 Weil ihm die Ausübung eines Berufs als Jurist verwehrt war, betätigte Alfred Mendel sich in der Folgezeit notgedrungen als Rechtsberater und Steuerhelfer in Jülich. Seine ratsuchenden Mandanten waren überwiegend Landwirte, die zum Kundenstamm seines Vaters zählten, aber auch Jülicher Geschäftsleute. Anfänglich beriet Alfred Mendel auch nichtjüdische Klienten. Darüber hinaus war er als Versicherungsvertreter tätig. Nachdem am 1. April 1933, dem sogenannten Boykott-Tag,9 an zahlreichen Jülicher Geschäften jüdischer Inhaber die Fensterscheiben eingeschlagen worden waren, stieg der Bedarf an Glasbruchversicherungen. Ab etwa 1934 vertrat Alfred Mendel die Londoner Lloyd-Versicherung, die jüdische Geschäftsleute gegen derartige Schäden versicherte. Zudem war er Bezirksvertreter der deutschen Versicherungsgesellschaft «Die Hilfe» mit Sitz in Berlin, von der ausschließlich jüdische Kunden ve rsichert wurden. Sein Arbeitsgebiet erstreckte sich über Jülich hinaus bis einerseits nach Eschweiler und andererseits nach Mönchengladbach und Köln. Die Berufsausübung, für die er ein Büro am Probst-Bechte-Platz unterhielt, war mit einer regen Reisetätigkeit verbunden. Während seiner Jülicher Zeit wohnte Alfred Mendel bei seinen Eltern.10

Am 1. September 1938 verzog Alfred Mendel gemeinsam mit seinen Eltern sowie den Brüdern Max und Rudolf nach Aachen in das Mehrfamilienhaus Weißenburger Straße 14. In Aachen war er noch eine Zeit lang in geringerem Umfang rechts-beratend tätig;11 laut Familienüberlieferung erhielt er eine Arbeitsstelle bei der jüdischen Gemeinde Aachen.12 Nach dem Pogrom am 9. November 1938 soll sich Alfred Mendel für kurze Zeit bei seinem Onkel Willi Levy in Garzweiler aufgehalten haben.13

Die Eltern von Alfred Mendel flüchteten im Juli 1939 über Belgien und England nach Rio de Janeiro/Brasilien. Dorthin war bereits ihr Sohn Willi im Mai 1936 über Holland und Belgien ausgewandert. Nach dem Tod ihres Ehemannes im Jahr 1948 übersiedelte Johanna Mendel nach Kanada, wo sie am 24. Oktober 1954 in Prescott/Ontario verstarb. Willi Mendel verblieb in Rio de Janeiro, heiratete dort im Juli 1941 die Brasilianerin Maria de Lourdes Ferreira da Silva und nahm im Jahr 1951 die brasilianische Staatsangehörigkeit an; er verstarb am 13. Januar 1979. Max Mendel, von Beruf Viehhändler, war am Tag nach dem Pogrom vom 9. November 1938 verhaftet und einen Monat lang im Konzentrationslager Sachsenhausen festgehalten worden. Anschließend wanderte er mit seiner Ehefrau Rosa Mendel geborene Rothschild in die Vereinigten Staaten von Amerika aus; dort starb er am 4. April 1964. Der jüngste Bruder von Alfred Mendel, Rudolf, der am 4. Februar 1939 in Aachen geheiratet hatte, flüchtete über Belgien nach Südfrankreich, wo er sich dem Widerstand anschloss und den Namen Raoul de Mandelaere annahm. Nach dem Krieg ließ er sich in Jülich als Weinkaufmann nieder, kehrte dann aber nach Südfrankreich zurück. Er betätigte sich als Winzer und Weinhändler und verstarb am 29. Februar 1984 in Ayzieu in der Region Midi-Pyrénées. Die Schwester Helene verzog 1938 verfolgungsbedingt zunächst nach England, wo sie in einem Haushalt arbeitete, und wanderte später nach Kanada aus. Sie heiratete in Montreal Mark Rosenwald und blieb dort bis zu ihrem Tod nach 1970. Meta Mendel war bereits am 23. August 1911, im Alter von nur zwei Jahren, in Jülich verstorben. Der älteste Bruder Karl schließlich, der 1933 in Düsseldorf geheiratet und dort zuletzt gewohnt hatte, kam während des Krieges ums Leben.14

Als seine Eltern 1939 Aachen verließen, übernahm Alfred Mendel die verbliebene Wohnungseinrichtung.15 Im Jahr 1941 wurde er in das Arbeitslager in Walheim eingewiesen, das in der dortigen Jugendherberge eingerichtet worden war. Nach dessen Auflösung war er vom 10. Dezember 1941 bis zum 21. März 1942 im Arbeitslager Rhenaniastraße in Stolberg untergebracht. Von dort aus lieferte man ihn zum Zweck der Deportation in das Sammellager am Grünen Weg in Aachen, einem ehemaligen Obdachlosenheim, ein.16 Am 22. März 1942 wurde er von Düsseldorf mit dem Transportzug Da 52 zusammen mit 940 anderen Juden in das Ghetto in Izbica/Polen deportiert17, wo er zu einem nicht bekannten Zeitpunkt ermordet wurde. Durch Beschluss vom 12. November 1963 des Amtsgerichts Aachen wurde Alfred Mendel schließlich auf den 31. Dezember 1945 für tot erklärt.18

 

 

 

 

 

 


  1.         Vgl. Familienbuch a.a.O. Der Geburtsname von Emma Cossmann wird zuweilen als «Cosmann» oder «Cohsmann» angegeben.
  2.         Vgl. Ebenda.
  3.         Vgl. Spelthahn, Heinz und Gabriele: Entrechtet – entwurzelt – ermordet. Buch der Erinnerung an die Juden des Jülicher Landes, Veröffentlichungen des Jülicher Geschichtsvereins Band 19, Jülich 2006, S. 156.
  4.         Vgl. Familienbuch a.a.O.
  5.         Vgl. Entschädigungsakte Bezirksregierung Düsseldorf ZK 49.530.
  6.         Heutiges Gymnasium Zitadelle Jülich.
  7.         Vgl. Mitteilung Dr. Horst Dinstühler, Stadtarchiv Jülich.
  8.         Vgl. Promotionsakte Zug. 42/3216; Mitteilung Waltraud Holst, Archiv der Universität zu Köln.
  9.         Die Parteileitung der NSDAP hatte die Bevölkerung aufgerufen, Geschäfte jüdischer Inhaber sowie jüdische Ärzte und Rechtsanwälte zu boykottieren.
  10.         Vgl. Entschädigungsakte a.a.O.
  11.         Möglicherweise war er bei einem Rechtsanwalt beschäftigt, vgl. Spelthahn a.a.O., S. 154 Fn. 776.
  12.         Vgl. Aachener Zeitung vom 17. November 2008.
  13.         Vgl. Entschädigungsakte a.a.O.
  14.         Vgl. Spelthahn a.a.O., S. 29 Fn. 50, S. 155, 156: Todestag und –ort sind offenbar unbekannt; Karl Mendel wurde 1962 vom Amtsgericht Düsseldorf für tot erklärt (42 II 162/1962). Nach einer Familienrecherche soll er am 10. Mai 1940 in Dünkirchen auf der Flucht erschossen worden sein.
  15.         Vgl. Entschädigungsakte a.a.O.
  16.         Vgl. Ebenda.
  17.         Vgl. verwendete Quellen: Gedenkbuch Koblenz a.a.O.
            Lepper, Herbert a.a.O., S. 1338.
  18.         Vgl. Entschädigungsakte a.a.O.