Gedenkbuch 2013

Siegbert Burghardt
Jenny Burghardt geborene Nachemstein
Rolf Burghardt
Hans Burghardt
Hermann Burghardt
Martha Burghardt geborene Kaufmann

Von Peter Nash (früher Peter Nachemstein), Sydney→ PDF
Übersetzt von Corinna Broeckmann

Jenny Nachemstein war die Schwester meines Großvaters Leopold väterlicherseits. Insgesamt gab es vier Nachemstein-Brüder und vier Schwestern, die alle in Hohensalza, heute Inowroc_aw, Polen, geboren wurden. Jennys Vater war Leiser Nachemstein, geboren in Lessen, heute _asin, Polen, und ihre Mutter Rosalie Ephraim. Jenny wurde am 24. April 1887 geboren.

Wo Jenny ihren späteren Ehemann Siegbert Burghardt traf, ist nicht bekannt. Siegbert wurde am 27. Juni 1889 in Staßfurt, Sachsen-Anhalt, geboren. Seine Mutter war Martha Burghardt, geborene Kaufmann, aus Könnern in Sachsen-Anhalt, geboren am 20. Januar 1857. Siegberts Vater war Isidor Burghardt, geboren in Gröbzig, nur etwa neun Kilometer von Könnern entfernt. Er starb wahrscheinlich 1915 in Leipzig.

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Foto: Letztes Familienfoto zum 80. Geburtstag von Martha Burghardt 1937 (privat)

Jenny und Siegbert heirateten in Berlin im Jahr 1912 und zogen nach Leipzig, wo ihr erster Sohn Rolf am 3. Oktober 1913 geboren wurde. Später zogen sie nach Aachen um. Dort wurde Hans am 23. März 1922 geboren und feierte am 30. März 1935 seine Bar-Mizwa. Die Familie lebte in Aachen in der Monheimsallee 30 (1927), in der Heinrichsalle 16 (1933), in der Peterstraße 22 (1934/35) und in der Couvenstraße 1 (wahrscheinlich ab 1936)

Hermann Burghardt, auch „Männe" genannt, war Siegberts jüngerer Bruder. Er kam am 28. Oktober 1898 in Leipzig zur Welt. Hermann heiratete Berta Makowski, die aus Aachen stammte und als Tochter von Max und Selma Makowski, geborene Luft, am 5. Februar 1901 geboren wurde. Hermann zog nach Aachen und arbeitete dort als Handelsvertreter, während Berta Verkäuferin von Beruf war. Am 2. November 1933 zog das Paar in die Marktgasse 21. Für das Jahr 1938 findet sich noch eine andere Adresse am Marktplatz 4.

Mein Vater, Herbert Nachemstein, erinnerte sich daran, seine Tante Jenny, die als kultivierte Dame galt, im Jahr 1925 in Aachen besucht zu haben, wo das Ehepaar Siegbert und Jenny Burghardt eine Spielwarengroßhandlung betrieb: „Siegbert Burghardt Kurz- und Spielwarengroßhandlung". Für das Geschäft sind zwei Adressen bekannt: Großkölnstraße 58 (1922) und Adalbertstraße 16 (1927). Die Spielwarenmanufaktur, so erinnerte sich eine Verwandte, fabrizierte „sehr hübsches hölzernes Spielzeug."

Die Burghardts hatten auch Geschäftsbeziehungen in die Nachbarländer und vertrieben auch noch während der Nazizeit nach 1933 ihre Produkte zum Beispiel in Belgien, Holland und Luxemburg. Rolf war ihr Vertreter und reiste regelmäßig in diese Länder, besonders nach Belgien. Er beantragte und erhielt die Erlaubnis Deutschland zu verlassen und für unterschiedlich lange Zeiträume dort zu bleiben. Dazu musste er die Namen der Kunden und Lieferanten angeben, die er besuchen wollte, und auch, in welchem Hotel er übernachten wollte.

Die Burghardts blieben zunächst noch in Aachen, weil sie optimistisch waren und erwarteten, dass sich alles zum Guten wenden würde. In der ersten Hälfte des Jahres 1938, noch vor der Reichspogromnacht, beschloss die Familie jedoch, dauerhaft nach Belgien überzusiedeln. Sie reichten einen Antrag zur Genehmigung bei den belgischen Handelsbehörden zum Aufbau eines Fabrikations- und Handelsbetriebes für kleine Holzspielwaren und Karnevalsartikel in Eupen ein. Die Hauptfaktoren für die Zustimmung der Behörden zum Antrag, die schließlich ausgesprochen wurde, waren der Plan der Familie Burghardt, ihr eigenes Kapital einzusetzen und die Tatsache, dass zukünftig dieselben Artikel nicht mehr nach Belgien eingeführt werden mussten, sondern mit belgischem Material und von belgischen Arbeitern hergestellt und auch nach Luxemburg und Holland exportiert werden sollten .

Siegbert wurde zusammen mit seinem Bruder Hermann am 10. November 1938 festgenommen und in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht . Dies wurde am 14. November 1938 durch einen Brief des Bürgermeisters von Eupen an das Amt für öffentliche Sicherheit in Brüssel bestätigt. Er wurde bald freigelassen, da er und seine Familie die Bestätigung hatten, nach Belgien einwandern zu dürfen, um dort ein neues Gewerbe zu eröffnen. Sie zogen am 16. Januar 1939 um. Der Name der neuen Firma war RO BU-Jouets (Rolf Burghardt Spielwaren).

Auch Hermann wurde bald aus dem KZ Buchenwald entlassen.

Am 14. April 1939 informierte Siegbert den Bürgermeister von Eupen in einem Brief mit dem neuen ‚Ro Bu-Jouets'-Briefkopf, dass Rolf und Hans bereit seien, ins belgische Militär einzutreten, wenn dies nötig werden sollte.

Am 10. Mai 1940 wurden alle Männer der Familie Burghardt abgeholt und in das Internierungslager St. Cyprien am französischen Mittelmeer deportiert. Auch Hermann war dabei. Er war offenbar mit Berta ebenfalls nach Belgien emigriert. In St. Cyprien war das Leben sehr hart. Es gab nur sehr wenig Nahrung, und die Gefangenen mussten hungern, sofern sie keine Geldsendungen von ihren Familien und Freunden erhielten. Ansteckende Krankheiten wie Typhus und Malaria waren häufig.

Nachdem das Lager St. Cyprien geschlossen wurde, wurden Siegbert, Rolf, Hans und Hermann am 28. Oktober 1940 in das Lager Gurs, ebenfalls am Fuße der Pyrenäen gebracht .

Es scheint, als seien Jenny, Berta und auch Siegberts und Hermanns Mutter Martha Burghardt in Brüssel geblieben. Aus einem Bericht des Polizeikommissariats in Molenbeek-Saint Jean, einem Stadtteil von Brüssel, vom 23. Dezember 1940, wird deutlich, dass Jenny seit März 1940 in einer Wohnung in Molenbeek lebte, allerdings nicht in der Lage war, die Miete zu bezahlen, auf Sozialfürsorge angewiesen war und als Haushaltshilfe arbeitete, um ihr Einkommen aufzubessern.

Es ist nicht genau zu klären, wohin die Burghardts vom Lager Gurs aus gebracht wurden. Aber aus dem Lager Rivesaltes, nördlich von Perpignan, wurden Unterlagen für Siegbert, Jenny, Rolf, Hans und Hermann gefunden. Danach trennen sich ihre Wege teilweise.

Hermann war am 8. Juli 1941 im Lager Des Milles in der Nähe von Aix-en-Provence, während Rolf laut Aktenlage am 26. August 1941 im Hospital war. Siegbert wurde offenbar am 9. Mai 1942 einer Gruppe Fremdarbeiter („GTE-Groupes de Travailleurs Etrangers") zugeteilt. Hans war einer aus einer Gruppe junger Juden, die in das Centre du Lastic in Rosans in den Hochalpen gebracht wurde, das von dem katholischen Abt Alexandre Glasberg, einem konvertierten Juden, mit dem Ziel gegründet wurde, möglichst viele Juden zu retten .

Ein Zensus vom 14. August 1942, der von der französischen Vichy-Polizei durchgeführt wurde, um eine Festnahmeaktion am 26. August 1942 vorzubereiten, zeigt, dass Siegbert im Lager Barcarès in der Nähe von Perpignan war. Hans war in Rosans und Hermann im Lager Des Milles. Irgendwann kamen Jenny und Siegbert wieder zusammen. Rolf wurde wahrscheinlich wegen einer Krankheit von seinem Vater und seinem Bruder getrennt.

Aus Listen französischer Internierungslager geht hervor, dass Rolf in Nîmes, Frankreich, starb. Später erhielt ich über einen Cousin in Frankreich seinen Totenschein . Er starb am 10. Juli 1942 aus unbekannter Ursache. Seinem Vater Siegbert wurde erlaubt, von seinem Internierungslager nach Nîmes zu fahren, um mit seiner Unterschrift zu bestätigen, dass Rolf sein Sohn war. Die Bescheinigung weist auch darauf hin, dass Siegbert und Jenny zu dieser Zeit in Perpignan am Fuße der östlichen Pyrenäen interniert waren. Sie müssen am Boden zerstört gewesen sein. Es ist ein kleiner Trost, dass Rolf dort starb und nicht in Auschwitz ermordet wurde wie seine Eltern, sein Bruder und sein Onkel.

Hermann wurde am 14. August 1942 mit Transport 19 über das Sammellager Drancy nach Auschwitz gebracht und ermordet. Hans wurde ebenfalls über Drancy mit Transport 29 am 7. September 1942 nach Auschwitz deportiert. Wie er wurden seine Eltern nur kurze Zeit später mit Transport 33 über Drancy am 18. September 1942 nach Auschwitz gebracht und ermordet.

Ein Bericht des Brüsseler Polizeiministeriums zur Wohnsituation früherer Ausländer vom 4. Juni 1953 zeigt, dass Berta Burghardt in der Rue de l'Intendant 52 in Molenbeek gewohnt hatte und ihr Name am 25. März 1947 von der Liste gestrichen wurde, wahrscheinlich, weil sie nach New York umgezogen war . Ich fand heraus, dass sie am 5. März 1947 mit dem Schiff „SS Queen Elizabeth" und der Hilfe von HIAS (Hebrew Immigrant Aid Society) und ihrer Schwägerin Margarete Westheim als Sponsorin in New York ankam . Ebenfalls auf der Passagierliste angegeben ist, dass Bertas Verwandter in Belgien ihr Bruder „A. Roakaueski" war, der in Molenbeek lebte. Offenbar wurde der Nachname falsch geschrieben und hätte Makowski heißen müssen . Berta kehrte später nach Deutschland zurück. Sie hat erneut geheiratet, Peter Drabin, und starb am 29. Mai 1970 in Simmerath.

Das weitere Schicksal von Oma Martha Burghardt ist nicht bekannt. 1992 entdeckte ich ein Klassenfoto der Aachener Jüdischen Volksschule der Jahrgänge 1926-1928 in einer Publikation . Die Liste der Namen der Kinder auf dem Foto enthielt auch den von Hans Burghardt. Hans war damals etwa sechs Jahre alt. Hans' Freunde Alfred (Fred) Voss und Kurt Rosendahl waren ebenfalls auf dem Foto zu sehen. Fred, der in Pennsylvania, USA, lebte, sagte mir, dass Hans einer seiner besten Freunde gewesen sei.

Kurt Rosendahl, der in New York lebte, bestätigte, dass seine Familie mit den Burghardts in Aachen eng befreundet war und Hans sein Freund gewesen sei. Hans und Kurt gehörten in Aachen derselben Jugendorganisation an.

Das letzte Mal, dass Kurt Rolf sah, war zwei Tage nach der Reichspogromnacht als Kurt und sein Vater illegal die Grenze nach Belgien passierten, um der Gestapo (Geheime Staatspolizei) zu entkommen. Sie schlugen sich nach Eupen durch. Rolf lieh ihnen sofort Geld und half ihnen, nach Brüssel zu kommen. Sie sahen sich nie wieder. Kurt war in etwa einem Dutzend Internierungs- und Konzentrationslagern in Frankreich und Polen und erinnerte sich daran, Hans in einem dieser Lager, möglicherweise Auschwitz, gesehen zu haben. Kurt überlebte und fand schließlich seinen Weg in die Vereinigten Staaten.

Nachdem ich Kurt Rosendahl kontaktiert hatte, leitete er meinen Brief an die Aachenerin Ilse Zechermann, geborene Westheim, weiter, seine alte Freundin und eine Nichte von Siegbert Burghardt. Ihre Mutter Margarete Westheim, geborene Burghardt, war seine Schwester. Ilse und ihre Mutter verließen Aachen und gingen 1939 nach Belgien, wo sie oft mit den Burghardts zusammen waren. Mutter und Tochter schafften es, im März 1940 in die Vereinigten Staaten zu fliehen, weil ein Verwandter aus der Westheim-Linie sie finanziell unterstützte. Die ganze Zeit über behielt Ilses Mutter das Schulfoto und schrieb die Namen der Schüler auf die Rückseite .

Obere Reihe von links nach rechts (stehend): Hans Burghardt, ? Korn, Hans Rabinowitz, Hans Windesheim, Ilse Westheim, Silly (oder Lilly?) Berg, Rosa Hoeflich, Werner Cahn, Erna Berg, Hedwig Saul, Ruth Marx, Rosa Hausmann (Häusler?), Ruth Sollinger, Ruth Kaufmann (?), Kurt Robens, (Otto?) Robens, Lotte Heidelberg, Regina Lukas, Jacob Hoeflich, Eddie Gross, Max Podsclebnik (Potter), Alfred Labbee, ? Hertz, ? Gottschalk, ? Koopman, ? Sitting Untere Reihe von links nach rechts: Walter Falkenthin, Edgar Friesem, Leo Katzman, Ernst Rosenberg, Isidor Hausmann, Max Steinweg, Hans Hartog, Paul Stern, Fred Voss, Kurt Rosendahl, Kurt Hartog, Walter (oder Leo?) Weinhausen, Walter Wildau, Max Leyens

Der letzte Brief, den die Westheims in New York erhielten, datierte vom 18. September 1940 und stammte aus St. Cyprien von Rolf Burghardt. Ilse Zechermann starb 2011 in New York.

Fotos: - Letztes Familienfoto zum achtzigsten Geburtstag von Martha Burghardt 1937, den die Familie in Aachen feierte. Das Foto stammt ursprünglich von Ilse Zechermann, geborene Westheim. Foto (privat) mit freundlicher Genehmigung von Peter Nash. - Jenny und Siegbert Burghardt. Foto (privat) mit freundlicher Genehmigung von Peter Nash. - Hochzeit von Hermann Burghardt und Berta Makowski. Foto (Ausschnitt, privat) mit freundlicher Genehmigung von Klaus Falldorf, Bremen. - Rolf Burghardt. Foto (privat) mit freundlicher Genehmigung von Peter Nash. - Siegbert Burghardt. Foto (privat) mit freundlicher Genehmigung von Peter Nash. - Jenny Burghardt. Foto (privat) mit freundlicher Genehmigung von Peter Nash. - Hans Burghardt. Foto (privat) mit freundlicher Genehmigung von Peter Nash. - Martha Burghardt, geborene Kaufmann. Foto (Ausschnitt, privat) mit freundlicher Genehmigung von Klaus Falldorf, Bremen. - Schülerinnen und Schüler der Jüdischen Volksschule in Aachen 1926-1928. Foto (privat) mit freundlicher Genehmigung von Peter Nash.

Brief von Rolf Burghardt (Lager St. Cyprien, Frankreich) an Margarete und Ilse Westheim (New York, USA)

Rolf Burghardt Flot. I – Baraque 43 Camp St. Cyprien Pyrénées-Orientales St. Cyprien, le 18. Sept. 1940

Meine Lieben!

Heute kommt ein Brief besonderer Art und glaube ich nicht dahs [sic] Ihr meinen Brief von vergangener Woche bereits erhalten habt. Aus Mangel an Mittel sandte ich meinen vorigen Brief, welcher alles ausführlich enthielt durch einfache Post. Beigeschlossen waren verschiedene Briefe und Grüsse aller hier internierten Aachener (43 Mann) mit einem Appel an die in U.S.A. sitzenden Öcher. Ich schätze, der andere Brief läuft ca. 3-4 Wochen. -- Zuvor hoffe ich Euch Beide wohl u. gesund. Von uns kann ich G.s.D gleiches berichten, bis auf Vati. Er liegt seit über 3 Wochen hier im Lager-Lazarett u. ist operiert worden. Es war sehr, sehr gefährlich, immer die alte Sache, hinten am B…….! Ein Eckzem hatte sich gebildet. Der Schnitt ist 4 cm breit u. die Gewebe wurden durchschnitten. Heute erhielten wir einen Brief, dass eine Infektion eingetreten ist und sich auf der andern Backe ein neues Ding entwickelt hat. Jetzt soll er morgen wieder geschnitten werden. Leider können wir beide nur sehr selten Vater besuchen. Alle 3 Wochen nur können wir zu ihm. Hier wird es immer schlimmer. Ein deutsches Konzentrations ist ein Erholungsheim dagegen. Männe ist gestern unter schwerer Bewachung von seiner Flucht aus dem Lager nach hier zurück gebracht worden. Vor 3 Wochen floh er von hier mit Alex M. nach Toulouse. Alex ist geflohen. Über dies Alles steht ausführlich in meinem vorausgegangenen Brief. In diesem Brief bat ich Euch um verschiedene "Liebesgaben" bestimmt für uns 4, Siegbert, Männe, Rolf u. Hans. Ferner schnitt ich "vorsichtig" das Thema "Geld" an. Darum unser heutiger Eilbrief. Da wir alle vollkommen blank sind, auch Männe nach seiner kühnen Irrfahrt, bitten wir Euch dringend, uns umgehend per Luftpost einige Dollars evtl. frz Frs. lieber jedoch Dollars zu senden. Ich versichere Euch ehrenwörtlich, Ihr bekommt das Geld zurück.

Wir sind absolut nicht in der Lage, uns etwas Zukost zu kaufen. Haben jeden Tag nur trockenes schlechtes Brot. Eier, Marmelade etc kennen wir nicht mehr, etc. etc. Ich hoffe, dass Ihr Verständnis für unsere Lage habt. Evtl. wenn Ihr könnt, schickt uns bitte umgehend etwas Geld. Von Männe erhielt heute früh beiliegenden Brief und bittet er mich, Euch zu schreiben, ihm 5.- Dollar von seinem Geld zu senden. Auch er ist blank. Wir haben weiter keinen Menschen draussen, an den wir uns wenden können, ausser Ihr, und müsst Ihr eben mal dran glauben. Nun noch etwas sehr wichtiges: Nachstehend findet Ihr eine Adresse eines Comitées wo ich Euch bitte, mit meinem vorigen "Lagerbericht" und meinem Brief, der unterwegs ist hinzugehen.

Auch kann uns dieses Comité sehr nützen u. evtl. unsere Lage bedeutend verbessern. "National Refugee-Service Inc. / 165 West 46th Street, New-York-City". - - Schildere ihnen ungeniert unsere Lage. Da der vorige Brief ja überholt wird, teile ich Euch kurz nur noch folgendes mit. Hier im Camp herrscht seit 3-4 Wochen schwer Typhus u. Malaria. Besonders das Erste ganz gross. Leider haben wir schon viele unserer Kameraden verloren. Samstag hatte ich wieder Gelegenheit, einen Krankentransport nach Perpignan zu begleiten und besuchte dort wieder Siegfr. Höflich . Es ist schade um den Jungen aber "hoffnungslos". Er hat Typhus. Die Ärzte geben ihn auf. Ferner ist sein Vater, Josef H. heute mit ____ Schwindsucht ins Hospital nach Perpignan gekommen. Ins selbe Hospital wo Siegfried liegt. Vati schrieb mir heute folgenden Brief: "Nun zu Höflich. Ich glaube, dass er diese Woche nicht mehr überlebt. Heute kommt er nach Perpignan u. hat gestern schon eine Kamperspritze _?_ bekommen. Er sieht aus wie ein Skelett und darf ich ihn heute nicht mehr besuchen. Habt Ihr noch nichts von Mutti und Grete gehört." Dies ist der Wortlaut Vati's Briefes. Du siehst, liebe Tante u. Ilse, wer hier krank wird, ist schlimm dran und wollen wir hoffen u. dem Lieben Gott danken, wenn unser Vater wieder bei uns ist. Aber schreibe nichts an Mutti u. Oma, dass Vater im Hospital ist. Auf jeden Fall bitte ich Euch innigst, uns dringend etwas zu schicken, damit wir wenigstens Gelegenheit haben, uns etwas Zukost zu kaufen, damit neben dem Frass hier, uns etwas nebenbei machen können, und nicht monatelang trockenes Brot fressen brauchen. Aus Portogründen teilen wir uns diesen Brief mit andern Kameraden, und bitte ich Euch höfl. beiliegende Briefe von dort aus weiterzuleiten. An eine Flucht ist im Moment nicht zu denken, da sofort scharf geschossen wird. Also auch dieser Traum ist vorläufig aus! Ich rechne bestimmt auf Eure Hilfe u. wenn Ihr betr. Einreise etwas für uns erreichen könnt, so kommen wir sofort frei! Unsere Hoffnungen, nochmals nach Brüssel zu unserer Familie zu kommen, haben sich in Wohlgefallen aufgelöst. Oder der Krieg müsste solche Formen annehmen, dass uns Allen wieder ein anständiges Leben gesichert ist. Von Brüssel haben wir beruhigende Nachrichten, dass Alle gesund sind. Mutti schreibt dass sie noch in der alten Wohnung wohnt, sie aber eine kleinere nehmen will. Fabrik ist geschlossen. Berta hat ihre alte Stelle wieder in Antwerpen. Von Berlin erhielt gestern eine Karte. U.a. schrieb Tante Regina dass Mutti ihr geschrieben hat, dass Margot Löwenstein (Frau Mendel) auf der Flucht nach Calais ein Kind entbunden hat u. sehr schwer krank sei. Ihr Mann Rudolf Mendel ist auch hier im Camp u. hatte bis dahin keinerlei Nachricht von seiner Frau. Es war die Erste. Soeben erhalte vom Büro Nachricht, dass die Brüder Burghardt für _ Std. unter Bewachung von Militär zu Ihrem Vater dürfen. So findet Vati wenigstens Gelegenheit einige Zeilen mit anzuschreiben. Also meine Lieben, ich rechne auf Euch u. vielen Dank im Voraus. Seit für heute vieltausendmal herzlichst gegrühst u. geküsst von Eurem _gezeichnet_ Rolf

Liebe Frau Westheim u. Ilse. Hoffe Sie sind bei bester Gesundheit. Gut ist bei meiner Frau in Villafruche Lamajai (___ Haute Garonne) 15 Place Gambetta. Hoffentlich komme ich bald mit meinen Lieben zusammen. Die Lage ist momentan hoffnungslos. Mit den herzl. Grüssen für Sie Beide u. alle Bekannte. Ihr _gezeichnet_ Hermann Levy

Meine Lieben! Komme gerade von Vati zurück und geht es ihm noch nicht besser. Es ist schwer Medikamente zu bekommen. Seid vielmals gegrüßt geküßt von Eurem _gezeichnet_ Hans!

Eine dieser Adressen mag auch eine Geschäftsadresse gewesen sein. (Aus historischen Aachener Adressbüchern verschiedener Jahrgänge) Brief des Bürgermeisters von Eupen an das Amt für Öffentliche Sicherheit in Brüssel vom 4. November 1938. Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945. Frau Manuela Wyler aus Lyon ist die Leiterin des Projekts Dorot: association d'histoire. Ihre Internetseite www.jewishtraces.org enthält eine Datenbank exilierter Juden aus Deutschland, Österreich und so weiter, von denen viele zunächst in französische Internierungslager gebracht wurden, wie Gurs, St. Cyprien, Les Milles und Rivesaltes, um schließlich in die Todeslager deportiert zu werden. Frau Wyler hat Zugang zu vielen Archiven in Frankreich und Belgien und war in der Lage, viele historische Dokumente aus französischen und belgischen Archiven zur Burghardt-Familie aufzuspüren. Viele der genannten Ereignisse, die hier aufgeführt sind, sind durch die hilfreiche Recherche von Frau Wyler ans Licht gekommen. Dorot: association d'histoire, www.jewishtraces.org Ebenda. Ebenda. Totenschein des Standesamts in Nîmes, Frankreich Serge Klarsfelds "Memorial to the Jews Deported from France 1942-1944" Dorot: association d'histoire, www.jewishtraces.org Ankunft der Passagiere in New York 1820-1957, www.ancestry.com Alex Makowski, in Dortmund geboren, und verheiratet mit Maria Bahnen, starb 1978 in Laurensberg. (http://thekesters.net/Genealogy/Luft.html) Aus dem Stammbaum der Familie Luft: http://thekesters.net/Genealogy/Luft.html Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, 1992: Spuren jüdischen Lebens in Aachen von 1850 bis 1938 – Eine Anschauungsmappe". Bearbeitet von Bettina Klein. Soweit möglich wurden die Namen durch das Gedenkbuchprojekt ergänzt. Der Brief ist im Anhang zu dieser Biographie abgedruckt. Bei Alex M. handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um Alex Makowski, Schwager von Hermann („Männe") Burghardt. Siegfried Höflich, geboren am 9. September 1916 in Aachen, emigrierte nach Belgien (Antwerpen und Sainte Livrade, Villemur), wurde aber am 12. Mai 1940 nach St. Cyprien gebracht. Er flüchtete, wurde aber (in Belgien?) wieder gefangen genommen und am 19. April 1943 von Mechelen, Belgien, mit Transport XX- 1510 nach Auschwitz deportiert. Er wurde wahrscheinlich in Monowitz ermordet. Josef Höflich wurde am 23. August 1886 in Eilendorf geboren. Er war von Beruf Metzger. Er heiratete Eva Henriette Höflich, geborene Heidt, und zusammen hatten sie drei Kinder, Siegfried, Jakob und Elsa. Er starb am 19. September 1940. Regina Pfifferling, geborene Nachemstein, wurde am 5. Juni 1882 in Hohensalza (Inowroc_aw) geboren. Sie war verheiratet mit Ernst Pfifferling und war Jenny Burghardts Schwester. Regina wurde mit dem 10. Transport am 25. Januar 1942 von Berlin nach Riga deportiert und dort ermordet. Vergleiche die Biographie von Hermann Levy im Gedenkbuch 2008.