Gedenkbuch 2006

Gertrude Lipmann Pakula (Trudi)

Von Jakob Israel II Keppels-Lipmann Pakula, Heerlen (Niederlande)

Wer war meine Schwester Gertrude Lipmann Pakula, Rufname Trudi, geboren am 27.09.1922, die Tochter von Leonard Lipmann Pakula und Sabine Mohrer, der ersten Ehefrau meines Vaters, in Kaiserslautern? Sie war polnischer Staatsangehörigkeit und später staatenlos.

Nach der Scheidung ihrer Eltern kam sie in ein Internat. Von dort kann ich nichts berichten. Ihr Vater kam nach Aachen zu seinem Bruder und der Schwägerin Sara. Von dem was sie dort machten, davon habe ich ebenfalls keine Kenntnisse. Trudi wurde erst ein Begriff für mich, als ihr Vater, der auch mein Vater ist, in mein Leben kam. Da ich 1929 geboren wurde, war Trudi damals 7 Jahre alt, als Baby kann man sich noch nicht gut in der Umwelt orientieren, man hört im nachhinein, was alles war, was geschehen ist. So mit 2 bis 3 Jahren ist man schon im Bilde wer wer ist. Trudi und Margot, meine zwei Jahre ältere Schwester, das war unsere vertraute Welt, neben Mutter und Vater, Willi, Käthe und Ludwig, den Kindern meiner Mutter aus ihrer ersten Ehe.

Trudi war immer sehr liebevoll zu mir, ihrem kleineren Bruder, dem Jaköble. Sie hat uns zwei, Margot und mich, wie eine richtige Mutter umsorgt. Und unsere Mutter hat nie Unterschiede gemacht zwischen ihren Kindern. Trudi sagte immer zu unserer Mutter: "Du bist mein Mütterlein." Und so ist es immer geblieben, bis zur Flucht von Trudi mit Vater nach Belgien.

Als wir in Aachen wohnten, besuchte sie die jüdische Schule. Zuerst die jüdische Volksschule an der Synagoge, anschließend die jüdische Schule am Bergdriesch. Später hatte sie eine Arbeitsstelle bei Gummi Saul und als es so brenzlig wurde, noch vor dem Beginn der gesetzlichen und anderen Schikanen, hatte sie die Möglichkeit mit zwei Nichten, Schwestern von unserer Nichte Anna Jansen-Grünblatt, nach England auszuwandern. Mit dieser Emigrationswelle gingen auch noch Freundinnen von Trudi mit. Ich kann mich noch gut erinnern, dass wir drei, Trudi, Margot und ich dort oft zu Besuch waren, in der Harscampstrasse. Aber Vater hatte seine Bedenken. Er gab seine Erlaubnis nicht. So verpasste Trudi ihre Chance, wie die Ereignisse erwiesen haben, zu überleben - ein Ereignis von großer Bedeutung.

Nach wieder neuen Maßnahmen, nun gegen die polnischen Juden, die inzwischen staatenlos waren, Vater und Trudi fielen darunter, Vater musste sich von da ab jeden Tag auf der Polizeiwache melden. Trudi war noch bei Gummi Saul tätig, sie wurde von dort abgeholt und zum Hauptbahnhof gebracht, wo noch mehr Juden polnischer Herkunft hingebracht wurden. Mutti bekam eine Nachricht, dass man Trudi abgeholt habe. Vater lag im Burtscheider Krankenhaus. Was sollte man nun tun? Ich habe Mutti nie so zerstört und weiß im Gesicht gesehen. Sie schnappte sich ihren holländischen Pass, nahm mich an die Hand und mit der Kleinbahn fuhren wir zum Bahnhof. Dort musste ich draußen warten. Nach einer Stunde kam sie mit Trudi an ihrer Hand nach draußen – Tränen überströmt. Und Trudi sah zu Mutter auf und stammelte: "Danke Mutti, dass Du mich da herausgeholt hast." Später erzählte Mutti, was geschehen war. Sie hat einen Offizier angesprochen, hat gesagt, dass Vater im Krankenhaus liegt, dass er gemeinsam mit Trudi nach Polen emigrieren wird. Sie hatte in dem Wartesaal ordentlich Wirbel gemacht. Es wäre hier zu viel, alles wörtlich wiederzugeben.

Von dieser Zeit an war zunächst einmal Ruhe, Vater war aus dem Krankenhaus entlassen worden und es wurden Pläne geschmiedet. Wohin? Vater und Trudi haben ein paar Mal an der Grenze nach Belgien, am Grenzübergang Köpfchen gelegen. Aber Vater hatte Angst, dass, falls sie beide losrennen würden, sie dann geschnappt und anschließend nach Polen ausgewiesen würden. Bis dass eine bessere Lösung gefunden wäre tauchten sie unter, wohnten mal hier, mal dort.

Meine, unsere Mutter hörte davon, dass es Schleuser gäbe, die Menschen über die belgische Grenze bringen bis hinter das Sperrgebiet. Die Bezahlung betrug 10.000 Reichsmark. Die Hälfte war im Voraus zu zahlen, die andere Hälfte nach Ankunft in Antwerpen. So emigrierte Trudi 1939 gemeinsam mit Vater nach Belgien. Vater blieb jedoch nicht lange in Antwerpen. Er wurde illegal von Mutter nach Holland eingeschleust. Nun war Trudi nicht mehr unter den Fittichen von Vater, sie war frei und musste ihren eigenen Weg gehen. Sie hat eine Stelle als Kindermädchen bei einer jüdischen Familie angenommen. Zuerst wohnte sie in der Arendstrasse 40 und anschließend in der Platein Moratiuslei 86.

Wir haben bei unserer Reise in die Vergangenheit diese Adressen besucht, sie liegen beide im jüdischen Viertel im Zentrum von Antwerpen. Sie hat dort ihr eigenes Leben ohne Hilfe suchen müssen und gefunden.

Nachdem Vater Ende 1940 von Schaesberg, dem heutigen Landgraaf aus nach Belgien deportiert wurde - er wurde ausgetauscht und ging wieder zurück nach Antwerpen zu Trudi - bekamen wir nur sehr spärliche Nachrichten aus Antwerpen. Trudi hatte einen Freund, sie waren wohl bereits in Aachen verlobt gewesen, inzwischen war die Postverbindung zwischen Belgien und den Niederlanden eine Zeit lang unterbrochen. Dann kam im Sommer 1942 die letzte Karte aus Antwerpen. Vater schrieb, dass er und Trudi sich in Mechelen melden müssten, und das sind die letzten Lebenszeichen von beiden.

Nun folgen die Daten soweit wir diese vom Roten Kreuz und vom Ministerium für Soziale Angelegenheiten, Volksgesundheit und Lebensumständen, Dienst für Kriegsbeschädigte erhalten haben oder auch selber ausfindig gemacht haben.

Am 05.08.1942 wurde Gertrude aus Antwerpen nach Mechelen-Malines in die Kaserne Colonell Dussart deportiert. Von dort wurde sie am 11.08.1942 mit dem Convoi II, Transport AB 3983, Zug 251-/947-/15 Rap 249, 419 weiter nach Auschwitz deportiert. Nach drei Tagen kamen sie auf der Rampe in Auschwitz Oświęcim-Birkenau an. Sie wurden selektiert und sind beide sofort nach der Selektion in der Gaskammer ermordet worden.

Im Jahr 1991 bin ich in Auschwitz gewesen, um für meine, unsere Lieben Kaddisch zu sagen. Am nächsten Tag bin ich nochmals von Krakau aus mit der Reisegesellschaft in Auschwitz gewesen, das Informationsbüro war geöffnet und ich habe um Auskunft gebeten und habe beide gefunden. Vater unter Leonard Lipmann und Trudi unter Gertrude Pakula. Später habe ich eine schriftliche Bestätigung der Daten auf Polnisch erhalten. Diese wurde mir durch den Vater einer Bekannten ins Niederländische übersetzt.